Giovanni Marrone, Leben in der Heuteshow

Auszüge aus dem Manuskript "Leben in der Heuteshow?"

Kapitel 1: An der Himmelspforte

Ein Mann klopfte zögernd an der Himmelspforte. Er kam zu ungünstiger Zeit, denn als Petrus ziemlich verschlafen die Pforte öffnete, rieb der sich noch die Augen, begleitet von unfreundlichem Brummen in seinen Bart. Nach einem kräftigen Gähnen fragte er den Mann: „Name, Adresse, Beruf?“ „Fridolin Geigenbauer, 80527 München…“ begann unser Mann, er wurde jedoch jäh von Petrus unterbrochen: „Aha, schon wieder ein Münchner, da haben wir bereits unsere speziellen Erfahrungen mit einem Ihrer Vorgänger, wir werden besonders aufpassen! Beruf?“ „Ich bin IT-Spezialist“ antwortete der Mann schüchtern, da er das Gefühl hatte, dass seine Chancen nicht so gut waren, in den Himmel zu kommen. Petrus klang aber versöhnlicher: „Das ist sehr gut, dann hast Du Dich wohl mit unbedeutenden technischen Fragen herumgeschlagen; da hat man wenig Zeit, über unsinnige Fragen nachzudenken, brav, sehr brav. Ja, und die Zehn Gebote?“. „Na ja“ begann der Mann zögernd, „vielleicht… hat es mit dem 6. Gebot nicht immer so geklappt, wie ich mir das vornahm…“. „Hast Du dein Weib betrogen?“ fragte Petrus. „Ich konnte nichts dagegen unternehmen“ sprach der Mann, „die Sekretärin unseres Geschäftsführers war eine Sexbombe und verführte mich im Archivkeller…“. „Hehe, das verstehe ich“, zwinkerte ihm Petrus zu, „wir sind doch alle Männer. Kennst Du den Witz: Ein Mann kommt überraschend nach Hause und sieht seine Frau…, aber das erzähle ich Dir später, wenn die Formalitäten erledigt sind. Was noch?“ „Äh, das 7. Gebot habe ich überwiegend eingehalten, aber als ich eine Lehre in einer Schlosserei gemacht habe, habe ich… nun ja, einen Satz Schraubenschlüssel aus Chrom Vanadium mitgehen lassen…“. Petrus winkte ab: „Geschenkt, auch ich war mal in der Ausbildung und habe beim Ausliefern der Fische in die Umgebung vom See Genezareth den einen oder anderen mitgehen lassen“. Der Mann war erleichtert, mit Petrus konnte man wirklich über die menschlichen Nöte eines irdischen Lebens vernünftig reden. Und nachdem er wusste, dass man nichts verschweigen soll, denn Petrus konnte alles in seiner Akte nachschlagen, setzte er die Reihe seiner Geständnisse mutig fort: „Ich bin auch aus der Kirche ausgetreten, aber das waren rein steuerliche Gründe…“. Petrus seufzte kurz und sprach: „Ach, was soll‘s, ich bin auch nicht in der Kirche. Aber sag mal, hast Du etwa revolutionäres Gedankengut von diesen Unruhestiftern Marx, Engels, Lenin, Adorno, Marcuse, Horkheimer, Lukács oder Foucault und wie sie alle heißen, kennengelernt und vielleicht manches aus ihren Werken gut geheißen? All diese unentwegten Unruhestifter haben daran gearbeitet, jede natürliche gesellschaftliche Ordnung zu unterminieren, die Menschen aufzuwiegeln und sie zu unnötigen Fragestellungen bezüglich Gerechtigkeit zu verleiten. Sie kochen übrigens alle im selben Kessel beim Kollegen Luzifer.“ Petrus blickte den Mann prüfend an, der etwas unruhig wurde: „Zwar habe ich von den meisten etwas gelesen, aber ich möchte betonen, dass dies nur mit der Absicht geschah, in einer kritischen Auseinandersetzung ihre Thesen zu widerlegen“. Petrus ließ aber nicht locker: „Und welche Früchte hat Deine kritische Auseinandersetzung getragen?“ „Ich habe mich bei den Demos ganz eindeutig von den linksradikalen Gruppierungen distanziert und bin bei der Gruppe der Gewerkschafter mitmarschiert… und die Wackersdorfdemos habe ich gezielt geschwächt, indem ich am selben Tag ein Grillfest für Gleichgesinnte organisiert habe…“, stotterte der Mann, aber es half ihm wenig, da Petrus bereits in Wallung geraten war und ihn anschrie: „Ein 68-er also, der auf Demos ging, mit gottlosen Revoluzzern zusammen marschierte, politische Hetzschriften las…“ „... aber ich gehörte später zum Realoflügel bei den Grünen und folgte in allen Punkten Joschka Fischer…“ warf der Mann ein, da er merkte, dass die Anhörung eine ungute Wendung nahm. Es war aber schon zu spät, denn Petrus redete sich in Rage: „Schweig, Du elendiges Geschöpf. Deine Verstöße gegen die 10 Gebote hätte ich Dir noch verziehen, aber dass Du die uralte Sünde der Menschheit seit Adam und Eva, vom Baum der Erkenntnis pflücken zu wollen, fortsetzt, anstatt Dir einen harmlosen Zeitvertreib zu suchen, z.B. als Wagnerianer, der sich ein Dauerabo in Bayreuth erkämpft und von Jahr zu Jahr die Interpretation einzelner Passagen mit denen der letzten Jahre und Jahrzehnte vergleicht...
Oder als Kunstkenner, der von Vernissage zu Vernissage eilend die feine Interaktion zwischen Kunstwerk und Betrachter deutet, moderiert und seine ästhetische Spielwiese nach eigenem Gusto gestaltet. Oder als Schachspieler oder was weiß ich…
Aber so kommst Du auf keinen Fall in den Himmel. So ein renitenter Geist wäre noch in der Lage, eine Gewerkschaft für die Engel zu gründen, die sich dann mehr Urlaub und die 38-Stunden-Woche erkämpfen wollen. Oder man will dann den Herren durch Streiks zwingen, die Mindestquadratmetergröße der jedem einzelnen zugeordneten Wolke um 50% zu erhöhen. Oder Du würdest das Programm des Himmelfunks auf fetzigere Musik umstellen wollen...
Nee, Du bleibst draußen, ich rufe gleich Luzifer an, und er holt Dich dann hier ab“. So sprach Petrus und knallte die Himmelspforte vor dem Mann mit einem kräftigen Donner zu.

Kapitel 2: Verlorenheit in der Postmoderne

Um auf den Spuren des menschlichen Glücks zu wandern, müssen wir zu den Anfängen zurück. Denn wie sprach die Schlange im Paradies: „Wenn Ihr Früchte vom Baum der Erkenntnis esst, werdet Ihr den Unterschied zwischen Gut und Böse erkennen“. Trotz dieses Erkenntnisgewinns war noch ein langer Weg bis zur Aufklärung und der darauf folgenden mühsamen Befreiung aus der Unmündigkeit zurückzulegen. Je mehr der Mensch jedoch seine Weigerung aufgab, von seinem Verstand Gebrauch zu machen, desto mehr verlor er die Sicherheit und die Nestwärme eines beschützenden Systems mit Absolutheitsanspruch, das bis dato die Religionen geliefert hatten. Um wechselnden Glücksidealen im Laufe eines menschlichen Lebens folgen zu können, ist ein virtuoses Zusammenspiel zwischen den menschlichen Scheuklappen und der Erkenntnisbremse erforderlich. Diese zwei Grundvoraussetzungen werden im folgenden Abschnitt ausführlich behandelt...
Die Definition vom Flow (englisch Fließen, Rinnen, Strömen) des ungarisch-stämmigen Glücksforschers Mihály Csíkszentmihályi kommt der Glücksdefinition ziemlich nahe und bezeichnet das beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht. Dieser Zustand des Glücksgefühls kann mit Schaffens- bzw. Tätigkeitsrausch oder Funktionslust einhergehen. Flow-Zustände können bei entsprechend günstigen Bedingungen in hypnotische oder ekstatische Trance übergehen. Der Weg dahin kann jedoch sehr mühsam sein, und es müssen weitere Rahmenbedingungen beachtet werden...
Menschliche Scheuklappen werden zu Unrecht durchweg in negativer Konnotation verwendet. Ursprünglich wurden Scheuklappen für Pferde konzipiert, damit diese feinnervigen und sensiblen Tiere nicht durch unerwartete Ereignisse in den Zustand der Unruhe oder Panik versetzt werden. Sie sehen somit nur das, was sie sehen sollen. Dieser Schutzmechanismus hat sich auch beim Menschen bewährt, bei dem imaginäre Scheuklappen die Informationen ausfiltern, die ihn beunruhigen oder verängstigen könnten...
Ein äußerst nützlicher Schutzmechanismus der menschlichen Seele auf dem Weg zum Glück ist die Erkenntnisbremse. Wir nennen dieses Phänomen so, weil das Wort den Wesenskern dieses Prozesses prägnant beschreibt. Die Erkenntnisbremse tritt in Aktion, wenn das Unterbewusstsein des betroffenen Individuums Alarmsignale sendet, dass weitere Erkenntnisse auf dem eingeschlagenen Weg im Erkenntnisprozess unumstößliche Annahmen und subjektive Wahrheiten untergraben, in Schieflage oder gar zum Einsturz bringen könnten. Die Erkenntnisbremse muss somit die Scheuklappen ergänzen und vor allem bei harmlosen Themen, die die Scheuklappen durchwinken, in Aktion treten, wenn das Weiterverfolgen des Gedankengangs zu Erkenntnissen führen könnte, die unanfechtbare Annahmen, Familienmythen oder gar das eigene Selbstbild unterminieren würden.

Kapitel 3: Die Frauen

Bis auf wenige matriarchalische Ausrutscher in der Geschichte waren alle Gesellschaftssysteme patriarchalisch und gelegentlich zusätzlich paternalistisch geprägt. Bei der Rollenzuweisung für die Frau konnten die jeweils herrschenden Eliten immer zuverlässig auf Religionen zurückgreifen, um keine Argumentationsnot aufkommen zu lassen. Für die meisten Religionen ist die Frau das unheimliche, unbekannte Wesen, das durch ein ganzes Arsenal an Verboten und Geboten reglementiert werden soll. Das Alte und Neue Testament, Martin Luther, der Talmud, die Islamisten und Talibans jeglicher Couleur, um nur einige zu nennen, sind Musterbeispiele für die Herabsetzung der Frau und der Angst der Männer vor ihr. Auch heutzutage wird Frauen noch vorgeschrieben, welche Kleidung sie tragen dürfen, wie ihre Haare anzuordnen bzw. zu verdecken sind, ob sie unbegleitet auf die Straße dürfen, ob sie Auto fahren, ins Fußballstadion gehen oder gar ein Flugzeug fliegen dürfen. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Mit dem Aufkommen der weltweiten Emanzipationsbewegung in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bekamen die Frauen ein Zeitfenster als Chance, ihre Interessen über die Frauenbewegung zu formulieren und sie politisch durchzusetzen. Inzwischen hat sich dieses Zeitfenster schon längst wieder geschlossen, nachdem die patriarchalische Konterrevolution erfolgreich verlaufen ist. Teil der patriarchalischen Gegenrevolution waren auch die auf Frauen zugeschnittenen und in den Medien geschickt lancierten Themen wie Bodyoptimierung durch Schönheitsoperationen oder der Befreiungskampf gegen sämtliche Haare auf dem Frauenkörper unterhalb des Halses. Mit diesen Themen sind die Frauen in der Regel fürs ganze Leben ausgelastet und haben schlicht keinen Freiraum mehr für politische Analysen oder emanzipatorische Gedanken. Nachdem das Credo gesellschaftlich voll akzeptiert ist, wonach jede Frau und auch jeder Mann seinen Körper mit Hilfe schönheitschirurgischer Maßnahmen so optimieren kann und sogar muss, dass dieser kein visuelles Ärgernis in der Öffentlichkeit mehr darstellt, wird die Anzahl störrischer, rückständiger Widerständer immer kleiner. Fernsehmoderatorinnen und Schauspielerinnen mit wulstigen Lippen, die wie zwei Schwimmreifen übereinander schweben, sich aber nie berühren, nachdem der Schönheitschirurg die Haut darüber und darunter so gestrafft hat, dass sie den Mund nicht zumachen können, sind inzwischen eher die Regel, und viele Frauen machen es ihnen nach. Nach ihrer vorübergegangenen emanzipatorischen Phase ist die Mehrheit der Frauen durch ihre Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit zum geschmeidigen Justieren ihrer Scheuklappen prädestiniert, was uns zu schönsten Hoffnungen berechtigt, dass sie ihren Weg zum Flow-Zustand erfolgreich bestreiten.

Kapitel 4: Die Männer

Als Mann sind Sie, lieber Leser, in der gesamten Menschheitsgeschichte einem Dauerstress ausgesetzt gewesen; vielleicht erklärt dies Ihre gegenüber den Frauen verkürzte durchschnittliche Lebenserwartung. Dieser Stress ist überwiegend den Frauen zu verdanken, denn trotz umfangreicher Einbindungen dieser in verschiedene Modelle eines gesellschaftlichen Korsetts unterminierten sie durch ihre schwer kontrollierbare Emotionalität bewusst oder unbewusst jedes für sie konzipierte Regelwerk. Seit jeher ersann die Geistlichkeit im Verbund mit der weltlichen Macht Strafmaßnahmen für die Überschreitung der für Frauen vorgegebenen Grenzen, die von verschiedenen Foltermethoden über die einfache Steinigung bis hin zum Verbrennen auf dem Scheiterhaufen reichten. ...
Aber welch ein Jammer, die Aufklärung in den europäischen Ländern ab dem 18. Jahrhundert stellte auch das bis dahin wohlgeordnete Verhältnis zwischen Mann und Frau auf den Kopf und hatte die Säkularisierung der Gesellschaft zur Folge. Im Zuge dessen musste der Mann um die Auserwählte kämpfen, seine Attraktivität steigern, Gesellschaftstänze einüben und Liebesgedichte schreiben. Lediglich in manchen Alpentälern oder in manchen entlegenen Gegenden Niederbayerns genügt ein Schlag auf den Allerwertesten der Auserwählten und geht als Heiratsantrag durch. Den restaurativen Bemühungen der Frauen zur Rückkehr zum früheren Rollenverständnis stehen immer weniger Männer ablehnend gegenüber und finden Gefallen an jahrhundertelang erprobten und bewährten Rollenverteilungen in Paarbeziehungen. ...
Denn eine ihm via Geschlecht zustehende und jederzeit durchsetzbare höchste Priorität als Mann in der Familienhierarchie macht ihn entspannter, selbstsicherer und friedfertiger; er braucht dazu nur eine Frau, die dies bedingungslos anerkennt. Diese Meinung teilen auch Vertreter der Incel-Bewegung oder der Pick-Up-Artists, die den organisierten Widerstand der weißen Männer gegen den Feminismus und ihre daraus resultierende Benachteiligung propagieren. Die Incel-Männer begreifen sich als Männer zweiter Klasse, und aus dieser optimistischen Selbsteinschätzung leiten sie ihr Anrecht auf mindestens eine Frau ab, da sie unverschuldet in der unfreiwilligen sexuellen Enthaltsamkeit gelandet sind. Sie haben den Feminismus als Wurzel allen Übels identifiziert und sorgen hingebungsvoll in den jeweiligen Web-Foren für die Weiterbildung derjenigen, die im Prozess des Bewusstwerdens noch nicht soweit sind. Hier ergeben sich großartige Synergieeffekte durch die breite Übereinstimmung mit rechtslastigen Bewegungen, die den Feminismus ebenfalls als Geißel der Menschheit identifiziert haben...

Kapitel 5: Die Wutbürger

Wenn Sie sich den Wutbürgern zugehörig fühlen, so müssen Sie zuerst unterscheiden, zu welcher Untergruppe Sie gehören, um die nächsten Schritte davon abhängig machen zu können. In die erste Untergruppe der Wutbürger gehören die klassischen Verlierer der Gesellschaft, die stets wissen, wer für ihr Schicksal verantwortlich ist, nämlich das Establishment. Dieser Sammelbegriff ist geeignet, alle verhassten gesellschaftlichen Gruppierungen wie linksliberale - bei Bedarf auch konservative - Parteien, Intellektuelle, Künstler, die EU und alle weiteren, die für eine weltoffene und liberale Gesellschaftsordnung eintreten, zusammenzufassen und gleichzeitig unter Generalverdacht zu stellen. Der Wutbürger pflegt einen konstant hohen Wutpegel gegenüber den Verursachern seines Scheiterns und weiß, dass ihm im Leben nichts geschenkt wird, und er schenkt auch niemandem etwas. Erstaunlich ist jedoch, dass skrupellose Ausbeuter, die als Millionäre oder Milliardäre in die Politik gingen und auf der populistischen Klaviatur virtuos spielen können, für den Wutbürger nicht zum Establishment zählen, im Gegenteil, eher als Anwalt der kleinen Leute. Diese feste Überzeugung lässt sich der Wutbürger dieser Gruppe nicht nehmen, schon gar nicht durch Tatsachenberichte. ...
Wenn Sie Italiener sind, dann könnten Sie auf den Fortbestand des Römischen Reiches bestehen, den römischen Senat mit Wutbürgerkollegen neu gründen und die ausgebliebenen Tributzahlungen der Provinzen Britannia, Gallia, Gallia Aquitania, Germania inferior und superior, Hispania Baetica, citerior und ulterior durch eine Depesche an Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Spanien mit entsprechenden Strafzinsen einfordern. Jeder Wutbürger hat das Recht, die gloriose Vergangenheit wiederzubeleben, vom Osmanischen Großreich, Großrußland oder vom spanischen Weltreich unter Karl V. zu träumen und nicht nur das, sondern daraus auch Konsequenzen zu ziehen. Wichtig ist, dass Sie den eingeschlagenen Weg beibehalten und der einmal festgelegten Strategie folgen. ...
Die zweite Gruppe der Wutbürger bilden die etablierten und gut situierten Mitglieder der Mittel- und Oberschicht, nicht selten Wirtschaftsbosse oder Professoren, die mit rhetorischen Fähigkeiten ausgestattet die Wutbürgerkollegen der ersten Gruppe mit Argumenten versorgen. Sie haben die Werke von Thilo Sarrazin gelesen und wissen, dass Deutschland dem Untergang geweiht ist und es nur noch eine Frage der gut berechenbaren Zeit ist, bis Berlin die Hauptstadt eines muslimischen Gottesstaates wird. Die über Westeuropa hinweg gerollte Flüchtlingswelle beschleunigt nur diesen Prozess und dieses Multikulti-Gesocks der Gesellschaft empfängt sie mit offenen Armen. ...
Wenn Sie mal gut gelaunt und etwas angetrunken in einer größeren Gesellschaft launige Witze auf Kosten der Juden, Polen, Arbeitslosen, Frauen oder Gastarbeiter von sich gaben, haben Sie postwendend Prädikate wie pubertär, rassistisch, reaktionär oder gar faschistisch geerntet. Aber die Zeiten haben sich geändert, denn man wird ja wohl noch sagen dürfen, was einem in einer offenen Gesellschaft sauer aufstößt. Sie haben inzwischen den Schwachpunkt der freiheitlichen Gesellschaften entdeckt und pochen jedes Mal auf das Recht der freien Meinungsäußerung, wenn Sie bei Minderheiten unter die Gürtellinie zielen und daraufhin einen kräftigen Gegenwind ernten. Zwar hat die wachsende gesellschaftliche Bedeutung der populistischen Strömungen in Europa auch Ihr Selbstbewusstsein beflügelt, aber sie sind aus der Ecke der Ewiggestrigen herausgekommen und vertreten offensiv Thesen, die noch vor ein paar Jahren gesellschaftlich inakzeptabel galten. Denn Ihre Wutbürgerkollegen haben weltweit die richtige Melodie auf der Klaviatur der niederen Instinkte gefunden, besonders die Freiheitlichen in Österreich mit ihrem inzwischen verstorbenen Frontmann Haider haben in diesem Bereich das Prädikat „künstlerisch wertvoll“ erkämpft und dominieren auch heute die österreichische Volksseele...
Von Ihrer Grundstruktur her kommt eine vollständige Abschottung von der realen Welt nicht in Frage, jedoch können Sie Ihr Heim zu einer starken Burg mit einer meistens hochgezogenen Zugbrücke ausbauen. Schon mit der Einrichtung Ihres Hauses beginnt die Weichenstellung. Wenn Sie sich es finanziell leisten können, so richten Sie Ihr Haus oder Ihre Wohnung im Biedermeier- oder im Altdeutschen Stil ein, ansonsten bleibt Ihnen immer noch der Gelsenkirchener Barock, der auch in bescheideneren Behausungen einen soliden Eindruck vermittelt. Ein oder besser: mehrere Hirschgeweihe an der Wand und ein Bild mit einem röhrenden Hirsch gegenüber der Eingangstür runden den heimeligen Eindruck Ihres trauten Heimes ab. Auch in den anderen Räumen sollten Sie Kunstwerke höchstens bis zum XIX. Jahrhundert aufhängen, denn wie Sie wissen, die wahre Kunst endete spätestens mit dem Beginn des Expressionismus, danach kam nur noch Schund von sogenannten Künstlern, die Ihr Unvermögen, etwas realistisch abzubilden, als eine neue, radikale Kunstform tarnten. Ein Klavier steht Ihrer Familie immer gut zu Gesicht, und Sie sollten darauf hinwirken, dass alle Kinder mindestens ein Instrument spielen können. Da gilt es aber aufzupassen, denn auch die musikalische Entwicklungsgeschichte zeugt davon, wie die echte und wahre Musik bis zur Barockzeit immer mehr verkam und degenerierte. Die Werke von Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann sind uneingeschränkt zu empfehlen, aber schon mit dem Luftikus Antonio Vivaldi begann die Ernsthaftigkeit und der geistliche Bezug der Kompositionen durch unangebrachte Leichtigkeit und spielerische Elemente zu schwinden. Die Entwicklung zu den heutigen Störgeräuschen, die unter den Bezeichnungen Jazz, Techno oder Zwölftonmusik firmieren, war damit bereits vorgezeichnet. Ganz zu schweigen von den neumodischen musikalischen Stilrichtungen wie Rock, Punk, Hip-Hop und wie sie alle heißen, die auch für die eigenen Kinder eine ernsthafte Gefahr darstellen.

Kapitel 6: Die Konservativen

Prinzipiell ist der konservative Mensch gegen jede Art von Veränderung der Zustände, es sei denn, die Änderung steht im Einklang mit seinem konservativen Wertesystem. Zum bewahrenswerten Althergebrachten gehört in der Regel auch die Religion, die einem konservativen Menschen Orientierung und Halt gibt und ihm die Werte als Grundlage seiner Handlungen vorgibt. Fest im Glauben stehen Konservative als treue Gemeindeglieder bei kirchlichen Festtagen selbstverständlich hilfsbereit in Reih und Glied, um beim Aufstellen der Bierbänke oder am Kuchenstand Seite an Seite mit dem Bürgermeister und dem Sparkassendirektor des Ortes auszuhelfen. Es hat sich auch als hilfreich erwiesen, bestimmte Redebausteine vorzubereiten, die dem jeweiligen Anlass entsprechend zusammengefügt werden können. Es muss keine brillante Rhetorik sein, aber der Wert der Familie als Keimzelle der Gesellschaft, der Glaube, der einem den zu beschreitenden Weg zeigt und die dekadenten 68-er, die den Werteverfall eingeleitet haben, dürfen in der Sammlung nicht fehlen.

Kapitel 7: Das Establishment

Das Establishment war in den europäischen Ländern bis zur Französischen Revolution 1789 über mehrere Jahrhunderte relativ überschaubar strukturiert: Der Adel und der Klerus teilten sich die Aufgabe der Domestizierung des Volkes und unterstützten sich gegenseitig in Krisensituationen. Danach begann jedoch der lange Abstieg des Adels, der mit dem Zusammenbruch zweier Kaiser- und eines Zarenreiches am Ende des Ersten Weltkrieges den privilegierten gesellschaftlichen Status des Adels aufhob. Auch der Klerus war nach der Französischen Revolution und bedingt durch die Aufklärung mit partiellem oder vollständigem Machtverlust konfrontiert. Durch vielfältige gesellschaftliche Prozesse entstanden neue Eliten, deren Standortbestimmung besonders ab der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts eine zusätzliche Differenzierung erforderlich machte. Aus diesem Grund betrachten wir innerhalb des Establishments einzelne Gruppen in der Gegenwart, um ihr gruppenspezifisches Glückspotenzial genauer analysieren zu können.

Der Adel

Die meisten adligen Familien sind geschichts- und traditionsbewusst, somit bestens über ihre Urahnen informiert, die entweder durch möglichst viele getötete Gegner auf dem Schlachtfeld im Auftrag ihres Landesherren oder durch besondere Dienste – oft auch lebensrettende für einen Herzog oder König – aufgefallen und in den Adelsstand erhoben worden sind. ...
Auch wenn man nicht zur englischen, schwedischen oder holländischen königlichen Familie gehört, bildet man als Adeliger zweiter Klasse immer noch die Existenzgrundlage von manchen Hochglanzmagazinen, um den Rest kümmert sich dann die jeweilige Lokalpresse. Diese Aufmerksamkeit ist dem voyeuristischen Bedürfnis weiter Bevölkerungsteile geschuldet, am Leben berühmter Menschen, und unter denen am liebsten der Adligen, zu partizipieren, das im Gegensatz zur eigenen langweiligen und mitunter tristen Existenz glamourös, aufregend und gern auch skandalös zu sein hat. Kommen die Adligen diesen Erwartungen nicht nach, so sorgt ein Heer von Journalisten und Gesellschaftskolumnisten dafür, dass das Leben der Adligen eben glamourös, aufregend und auch skandalös erscheint. Wenn man nur die Printmedien betrachtet, verschwinden jährlich ganze Wälder als Arbeitsnachweis der Bemühungen der Journaille. Das traditionell ohnehin gute Verhältnis unter Ihren Familienmitgliedern können Sie noch steigern und gesellschaftliche Zusammenkünfte mit anderen Adligen im Rahmen einer gemeinsamen Jagd, bei Schlosskonzerten oder Bällen bewusst ausbauen. Sie können sich mit Ihrer Familie in Ihr Familiendomizil zurückziehen, wenn ein Schlosspark vorhanden, darin lange Spaziergänge unternehmen, und Ihren Kindern und Enkelkindern bei der Auswahl der 10 bis 12 Vornahmen für angekündigte Neugeborene helfen, denn dies ist keine einfache Herausforderung und muss unter Berücksichtigung der Ahnenreihe und sonstiger Rahmenbedingungen mit Bedacht erfolgen...

Der Geldadel

Zum Geldadel gehören alle Millionäre und Milliardäre, die entweder durch eine Erbschaft, Einheirat, kriminelle Machenschaften oder ausnahmsweise durch harte Arbeit, jedenfalls ohne einen Adelstitel zu besitzen bzw. erworben zu haben, diesen Status genießen dürfen. Die Unterschiede der aufgezählten Wege, in die Reihen des Geldadels aufgenommen zu werden, sind oft marginal, denn auf dem Weg nach oben werden in der Regel die letzten zwei dieser Methoden benötigt. Ob man einen erfolgreichen Softwarekonzern gründet, führendes Mitglied der Mafia oder im internationalen Waffenhandel tätig ist oder aber als Oligarch die Ressourcen des eigenen Landes gewinnbringend verschleudert – ohne Härte und Durchsetzungsvermögen kommt man in diesen Disziplinen nicht weit ...
Man kennt und trifft sich auf Yachtmessen, Rüstungsmessen und Empfängen aller Art, die den eigenen Geschäften nützlich sein könnten. Aber man darf sich nie entspannt zurücklehnen, denn auch Milliardäre sind schon mal plötzlich pleitegegangen, in Ungnade gefallen und für Jahre ins Gefängnis gewandert. Manchmal mussten Ölscheichs wegen versiegender Ölquellen Sparmaßnahmen verordnen oder Oligarchen aus ihrem Land fliehen, weil sie bei der politischen Führung in Ungnade gefallen waren. Auch ein Mafiaboss kann trotz befreundeter Politiker und Informanten bei der Polizei in einen Kugelhagel der Konkurrenz geraten und außerplanmäßig das Zeitliche segnen ...
Wenn Sie kreativ sind, nach Zukunftsmodellen für neue Lebensformen suchen und ein Vermögen in Höhe eines mindestens zweistelligen Millionenbetrags in Dollar besitzen, dann wäre die Seasteading-Bewegung das Richtige für Sie. Diese in San Francisco ansässige Gruppe besteht aus exzentrischen Investoren wie Internet-Millionären aus dem Silicon Valley, die von einem Leben auf hoher See ohne irgendeinen staatlichen Eingriff träumen. Auf schwimmenden Plattformen in internationalen Gewässern sollen Gemeinschaften entstehen, die ohne Steuern und staatliche Bürokratie eine freie Entfaltung und eine ungehinderte Vermehrung des Wohlstands der Mitglieder garantieren. Wenn Sie also mit Gleichgesinnten und ihren Familien zusammenleben, dann sind Sie auch von allen Lahmen und mühselig Beladenen Ihrer Gesellschaft befreit, die Sie sonst durchfüttern und deren Erfolgslosigkeit Sie mit Ihren hohen Steuern auch noch belohnen müssten. Ohne den Ballast der sozialen Verantwortung können Sie Ihre Fähigkeit voll entfalten und Ihr Vermögen kontinuierlich vermehren. Für Ihre Kinder werden speziell examinierte Lehrerinnen und Lehrer eingestellt, die Ihr spezielles Weltbild im Unterricht vermitteln, um die Homogenität der Gemeinschaft zu gewährleisten...

Die Wirtschaftselite

Die Wirtschaftselite definiert sich durch absolute Leistungsbereitschaft, Effizienz und Disziplin, um die festgelegten Ziele zu erreichen oder zu übertreffen. Dies erfordert Härte auch gegenüber der eigenen Person, und so ist es folgerichtig, dass fast ausschließlich leistungsorientierte Jugendliche - die sogenannten Leistungskinder - für eine Laufbahn, die zum Aufstieg in die Wirtschafselite führt, in Frage kommen. Leistungskinder stammen aus Familien, in denen sie durch die vorausschauenden Eltern schon früh genug auf den harten Konkurrenzkampf im Leben vorbereitet werden. Diese Eltern lassen ihren Kindern menschliche Wärme, Zuneigung, spontane Umarmungen und Anerkennung nur in wohldosierten Portionen zukommen, die immer mit erzielten Leistungen gekoppelt sind. Die emotional dermaßen ausgehungerten Kinder lernen, dass sie erst durch erbrachte Leistung die ersehnte emotionale Zuwendung ihrer Eltern bekommen. Sie verinnerlichen dieses Prinzip und optimieren sich so fürs weitere Leben, dass ihre Leistungsfähigkeit in einem permanenten Lernprozess kontinuierlich ausgebaut wird. Die Eltern haben vielleicht hier und da leichte Gewissensbisse, wenn aber ihr Kind in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender eines weltweit operierenden Konzerns z.B. zum 70. Geburtstag des Vaters gratuliert, dann wissen sie, dass sie alles richtig gemacht haben und diese nur zum Wohle der Kinder angewandte Härte die Voraussetzung für deren Erfolg im Leben war...
Sie selbst befinden sich in einem ständigen Selbstoptimierungsprozess und trainieren täglich sowohl ihren Körper als auch ihre Kampfmethoden für den weiteren Aufstieg. Bevor sie frisch geduscht um 6 Uhr früh das Haus verlassen, sind sie bereits 10 Kilometer gelaufen. Hierbei werden alle technischen Hilfsmittel der Leistungsüberwachung verwendet, Herzrhythmus, Blutdruck, Puls, Anzahl der Schritte, zurückgelegte Strecke usw. werden online ins Netz übertragen, die Auswertung bekommen sie mit dem Kaffee auf den Frühstückstisch. Agil, schlank, durchtrainiert und voller Tatendrang erscheinen sie auf dem Büroschlachtfeld und beginnen frisch gestählt den täglichen Kampf gegen die Konkurrenten. Hierbei dient den meisten Machiavellis Buch „Il Principe“ als Anleitung, in dem das Basiswissen für machtausbauende und machterhaltende Handlungsmuster enthalten ist. Konsequent angewandt steigen sie nach einer angemessenen Zeit in die Vorstandsetagen hoch...
Bei vielen sind irgendwann die geistig-seelischen Reserven aufgebraucht, und sie steigen aus, bevor sie ein Burnout erleiden oder ihr Körper nicht mehr mitmacht. So eröffnen sie lieber ein Bio-Restaurant in Deutschland oder kaufen ein Weingut in Südfrankreich, bevor sie mit Herzinfarkt oder Schlaganfall auf der Intensivstation landen. Daher sollten Sie Ihren rechtzeitigen Ausstieg sorgfältig planen. Auf der ersten Stufe sollten Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten einen guten Vertrag für leitende Angestellte mit besonderen Ausstiegsklauseln bei einer wirtschaftlich soliden Firma oder Versicherungsgesellschaft abschließen. Bei einer vorzeitigen Beendigung des Vertrags seitens der Firma sollten Sie eine Abfindung in Millionenhöhe bekommen. Nach ein paar Monaten Übergangszeit können Sie mit der zweiten Stufe des Projektplans beginnen, indem Sie die ausgebliebenen wirtschaftlichen Erfolge dem Vorstand oder wahlweise dem Aufsichtsrat in die Schuhe schieben und dies überall in vertraulichen Gesprächen kundtun. Sollten Sie Pech haben, und Ihre Firma macht von Jahr zu Jahr steigende Gewinne, dann verweisen Sie darauf, dass diese Steigerung doppelt so hoch ausfallen würde, wenn nicht diese unfähige Geschäftsführung mit ihrer fachlichen Inkompetenz dem im Weg stehen würde. Auf der dritten Stufe können Sie sich zunehmend daneben benehmen, indem Sie z.B. vor dem Weihnachtsfest Ihrer Firma reichlich Flatulenz fördernde Lebensmittel zu sich nehmen und als Beitrag zur guten Stimmung das Fest mit akustisch gut wahrnehmbarem Entweichen von Darmgasen bereichern. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, und Sie werden mit einer Millionenabfindung mit sofortiger Wirkung entlassen. Auf der letzten Stufe müssen Sie nur noch Ihre Entschleunigung bewerkstelligen; hier kann ein mehrmonatiger Aufenthalt in einem Zen-Kloster in Japan oder in einem griechisch-orthodoxen Kloster in der Mönchsrepublik Athos auf der Halbinsel Chalkidikí Wunder bewirken...

Die Unterhaltungselite

Eine der jüngsten Eliteklassen bildet die Unterhaltungselite, die durch das Aufkommen von Film, Funk und Fernsehen im 20. Jahrhundert einen enormen Aufschwung erfahren hat. Hier ist jedoch auch die Fluktuation am größten, denn neben millionenschweren Protagonisten wie Madonna, Brad Pitt oder den Rolling Stones bilden eher die Eintagsfliegen die Mehrheit, die ihr kurzes Zeitfenster der Zuneigung ihrer Fans gewinnbringend abschöpfen müssen, bevor sie wieder in der Versenkung verschwinden. Auf dem Weg nach oben ist die Intelligenz beim werdenden Star höchst kontraproduktiv, die Masse ist nun mal nicht so und möchte ihr Ebenbild personifiziert erleben. So erobern Protagonisten mit überwältigender Schlichtheit die Bildschirme und Kinoleinwände, um ein ebensolches Publikum zu Ovationen zu animieren. Wenn einer aber schauspielerisch unterirdisch ist und durch seinen Gesang friedfertige Hyänen zur panischen Flucht veranlasst, zieht er in überwachte TV-Container à la „Big Brother“ beim Fernsehsender RTL ein und hofft, ohne jede künstlerische Leistung das Herz von Millionen zu erobern...
Aber auch in der Bildenden Kunst bestehen heutzutage exzellente Chancen, berühmt und reich durch die eigene Kunst zu werden. Es ist nicht einmal Talent erforderlich, Hauptsache, man fällt durch ungewöhnliche Aktionen oder künstlerische Themen auf und kann möglichst unverständlich darüber in der Öffentlichkeit reden. Nachdem z.B. der Maler Georg Baselitz erstmals 1969 das Oben nach unten verkehrte und dazu eine plausible Erklärung lieferte, wonach der Zwang für den Betrachter größer wird, beim Bild genauer hinzuschauen, wurde er schlagartig international berühmt; seine Bilder erreichen seitdem horrende Preise in Millionenhöhe. Viele Epigonen versuchten danach, dem Publikum etwas ähnlich Überraschendes zu präsentieren, es wurden z.B. Schweinehälften ausgestellt, die nach 2 Wochen nur noch mit einer Gasmaske bewundert werden konnten, oder es stellte eine Künstlerin in London ein nach drei Liebesnächten unverändertes Bett mit sämtlichen Spuren aus, all dies mit mehr oder weniger Erfolg...
Sollten Sie also zu den auserwählten erfolgreichen Schauspielern, Medienstars oder Künstlern gehören, dann wissen Sie, was dies für Sie bedeutet. Entweder werden Sie auf Schritt und Tritt auf der Straße angesprochen und bestätigen jedes Mal, dass Sie es sind, und hören sich minutenlange Wortbeiträge an, in denen wildfremde Menschen ihre Lebensgeschichte und ihre darin enthaltene wachsende Begeisterung für Sie in mehr oder weniger komprimierter Form auf Sie niedersausen lassen, während Sie dazu auch noch höflich lächeln müssen. Oder Sie schmücken Partys der Glitzergesellschaft, die überwiegend durch einen unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten der Anwesenden glänzen, wobei die meisten dieses Minimum in die Optimierung ihres Outfits und ihres Auftritts in der Öffentlichkeit investieren...

Die Sportelite

Nachdem der Sport eine geringe geistige Herausforderung für seine Anhänger bietet und länderübergreifend ein verbindendes Medium mit höchstem Bekanntheitsgrad für seine Spitzenvertreter darstellt, wird in keinem anderen Bereich der Unterhaltungsindustrie so viel Geld wie hier umgesetzt. Ob man Jugendliche in der Sahel-Zone, in Afghanistan oder in Indonesien nach Deutschland fragt, antworten diese meist postwendend mit glänzenden Augen: Thomas Müller und Manuel Neuer. Mit so einer weltweiten Begeisterung muss es doch möglich sein, viel Geld zu verdienen - und tatsächlich, es werden Milliarden mit dem Sport, primär mit dem Fußball, verdient. Die Kreativabteilungen der Sportartikelhersteller arbeiten übrigens fieberhaft an der Neudefinition mancher Sportarten, die früher mit wenigen sportspezifischen Accessoires auskamen. Das einfache Schlendern in einer Landschaft mutierte zum Walking, später zum Nordic Walking. Hier kann man sich nicht mit alten T-Shirts und Trainingshosen blamieren. Eine adäquate Auswahl aus folgenden Artikeln ist dringend erforderlich: Walker Platinium Stöcke, Multiscarf, Trigger Shark Active Strap, Race Shark Headband, Drinkbelt, Function Cap usw. Wenn Sie also zu den Spitzensportlern gehören, dann haben Sie ohnehin kaum Zeit, an der Weichenstellung für ein glückliches Leben zu arbeiten. Zwischen zwei Wettbewerben bzw. Spielen hängt Ihre Stimmung von der zuletzt gezeigten Leistung und dem entsprechenden Medienecho ab, ansonsten trainieren Sie verbissen, um bei der nächsten sportlichen Herausforderung eine Leistungssteigerung zu zeigen. Sind Sie ein Fußballspieler, so stellt sich erst nach dem Ende Ihrer aktiven Laufbahn die Frage, wie Sie die Weichen zum Glücklichsein stellen können. Warnende Beispiele gibt es genug: Manche Ihrer Kollegen sind dem Alkohol verfallen, andere haben sich völlig verrechnet und verspielten ihre gesamten Ersparnisse durch fragwürdige wirtschaftliche Investitionen. Wenn Sie sich für einen Weg als Fußballtrainer entscheiden, so setzen Sie die Abhängigkeit von den Medien und den Fans fort. Sie können in einer Saison in den Himmel gelobt, in der nächsten gnadenlos hinausgeworfen werden, wenn die von Ihnen trainierte Mannschaft die erwarteten Erfolge nicht liefern kann. In beiden Fällen muten Sie Ihrem Herz Schwerstarbeit zu, Ihr Puls steigt während des Spiels auf 180, und Ihr Nervenkostüm wird aufs Heftigste strapaziert. Manche Fußballtrainer erleiden ein Burnout und ziehen sich abrupt vom Trainerjob zurück, um sich in einem Sabbatjahr zu erholen. Daher lautet unsere Empfehlung an dieser Stelle, dass Sie wenigstens einen gesunden Abstand zum Tagesgeschäft als Sportdirektor oder Vereinspräsident halten. Bei Misserfolg können Sie den Trainer entlassen und es mit dem nächsten versuchen; die Fans fordern nur in Ausnahmefällen, dass die ganze sportliche Führung zurücktritt...

Die politische Elite

Bis zum Zusammenbruch des Ostblocks im Jahr 1989 war die Auswahl der politischen Elite relativ transparent und für politische Beobachter berechenbar. Ehrliche Diktatoren wie Hitler und Stalin haben ihre politischen Gegner eingesperrt, gefoltert und umgebracht. Kompetente Mitkämpfer der ersten Stunde – Mitmarschierer auf die Feldherrnhalle in München, kommunistische Arbeiter aus zaristischen Gefängnissen usw. – erhielten Ministerämter oder andere Posten mit weitreichenden Befugnissen im politischen Machtapparat, jedoch bestanden zu keiner Sekunde Zweifel über ihre Auswahlkriterien. Auch in Ländern mit langer demokratischer Tradition wie z.B. in England waren die Parteiprogramme der konservativen Partei der Tories bzw. der Labour Party der Arbeiterbewegung klar definiert und die Ernennung der jeweils neuen Ministerriege nach einem Wahlsieg einigermaßen transparent. In den ehemaligen Ostblockländern entstand nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen ein politisches Chaos, das am schnellsten die ehemaligen Politfunktionäre auszunutzen wussten, und ehe man sich versah, saßen sie schon in Führungsfunktionen neu gegründeter „demokratischer“ Parteien und entdeckten plötzlich, dass sie schon immer Oppositionelle waren und passiven Widerstand in der Diktatur leisteten. Je nach Erfolgschancen landeten sie bei sozialdemokratisch oder konservativ-nationalistisch geprägten Parteien, und so atheistisch sie auch in ihrem Vorleben waren, so tief religiös wurden sie auf einen Schlag. Sie adaptierten die scheinbar überlegene demokratische Struktur des Westens, jedoch begann zuerst in diesen Ländern die innere Aushöhlung demokratischer Institutionen. Das Ziel der politischen Klasse war, in einem chaotischen politischen System Angst und Unsicherheit bei den Bürgern zu erzeugen, um sich anschließend als Retter in der Not zu präsentieren. Das haben zwar politische Parteien auch im Westen immer wieder mal versucht, jedoch nirgendwo gelang dies so gut wie in den ehemaligen Ostblockstaaten...
Die nächste Politikergeneration der Populisten, zu denen der türkische Ministerpräsident Erdogan und der amerikanische Präsident Trump gehören, perfektionierten die machtergreifenden und machterhaltenden Methoden ihrer populistischen Vorgänger. Sie entdeckten, dass ihnen ihre zum Stimmvieh degradierten unbedarften Anhänger alle Charakterdefizite wie Narzissmus, Egoismus, Sexismus oder fehlenden Respekt gegenüber Minderheiten, sowie fehlenden Sachverstand, fehlende Sozialisierung und Beratungsresistenz nicht nur verzeihen, sondern als Stärke auslegen. Damit können sie sich so gebärden, wie sie sind, wütende Ausfälle über die Medien und das Internet direkt ans Wahlvolk übertragen, ausländische Staatschefs beleidigen, wüste Drohungen gegen Staaten aussprechen, dafür mimosenhaft auf Kritik reagieren – sie ernten begeisterte Zustimmung seitens ihrer Anhänger, und diese bilden nun mal die demokratische Mehrheit im jeweiligen Land...
Wenn Sie also Ambitionen entwickelt haben, auf einer populistischer Welle an den Gipfel Ihres Landes gespült zu werden oder sich bereits dort befinden, beachten Sie bitte folgende Aspekte der Machtergreifung bzw. -erhaltung:
• Versuchen Sie nie, ungeprüft Methoden Ihrer erfolgreichen Populistenkollegen zu übernehmen. Was z.B. in Russland zur guten Tradition gehört, unangenehm aufgefallene kritische Journalisten wie Anna Stepanowna Politkowskaja oder politische Konkurrenten wie Boris Nemzow einfach zu ermorden, das geht nicht ohne weitere Komplikationen in einem west- oder mitteleuropäischen Land, weil hier die Bevölkerung noch nicht entsprechend geschult ist, so etwas ohne Empörung zur Kenntnis zu nehmen.
• Trauen Sie keinem Ihnen noch so bedingungslos folgenden Anhänger vollständig, denn zu einem unerwarteten Zeitpunkt könnte gerade dieser einen hinterhältigen Angriff gegen Sie starten, wie z.B. im Jahr 2014 der Medienmogul Lajos Simicska in Ungarn gegen seinen früheren Kommilitonen und Vertrauten, den Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Simicska, der auf seinem Weg zum Medienmogul sehr viel Unterstützung durch den FIDESZ-Chef Orbán und durch die Partei erfuhr, hielt sich für stark genug für eine offene Konfrontation, in der er letztlich zwar unterlag, jedoch blieben auf beiden Seiten Blessuren zurück.
• Besorgen Sie rechtzeitig belastende Beweise auch gegen Ihre treuesten Parteifreunde, um diese Treue langfristig abzusichern. Hätte z.B. im oben geschilderten Konflikt der Parteichef Orbán rechtzeitig eine Akte der früheren Staatssicherheit über Simicska als inoffizieller Mitarbeiter angelegt (es muss ja nicht unbedingt zutreffen, mit ein wenig finanziellem oder administrativem Aufwand können entsprechende Informationen auch nachträglich eingeholt werden), so wären sie beide auch heute noch beste Freunde und würden Schulter an Schulter gegen die giftigen Hinterlassenschaften der kommunistischen Ära kämpfen.
• Wühlen Sie in der glorreichen Vergangenheit Ihres Landes so lange, bis Sie fündig werden und etwas ausgraben, worauf alle nationalistisch geprägten Patrioten stolz sein können, wie z.B. ein erfolgreicher Überfall auf ein Nachbarland, eine glorios gewonnene Schlacht oder listige Gebietseroberungen, wobei die Umstände völlig nebensächlich sind. Sollten Sie gar nichts finden, dann definieren Sie nachträglich den Ausgang einer Schlacht um, wie z.B. serbische Nationalisten die Schlacht am Amselfeld 1389 in einen glänzenden Sieg umdeuteten, der zur nationalen Identität des serbischen Volkes wurde, obwohl es im Kampf gegen das osmanische Heer keinen Sieger auf dem Schlachtfeld gab. Aber wen interessiert das schon, in Serbien wird jedes Jahr am 15. Juni der Gedenktag der siegreichen Schlacht gefeiert. Wer jedenfalls bei solch feierlichen Anlässen als glühender Patriot mit der rechten Hand auf dem Herzen und mit Tränen in den Augen die Nationalhymne und weitere herzergreifende Lieder singt, der ist garantiert keiner differenzierten Analyse zugänglich, weder auf die Vergangenheit, noch auf die Zukunft, schon gar nicht auf die Gegenwart bezogen; er folgt Ihnen blind in allen Lebenssituationen.
• Beauftragen Sie die Historiker und Sprachwissenschaftler Ihres Landes damit, nachzuweisen, dass Teilgebiete eines Nachbarlandes - wenn nicht gar das ganze Nachbarland - rechtmäßig zum Territorium Ihres Landes gehören müssten und schüren Sie das Feuer des Patriotismus Ihrer Landsleute, indem Sie die Rückgabe dieser Gebiete vehement fordern. Ihren Fachleuten gelingt es mit Sicherheit, nachzuweisen, dass in den betroffenen Gebieten die eigenen Landsleute schon viel früher angesiedelt waren, und wenn es heutzutage keinen einzigen mehr dort gibt, dann wurden sie gewaltsam vertrieben, also handelt es sich um eine noch größere Ungerechtigkeit. Beispielhaft führte dies nach dem Zerfall der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn das Königreich Rumänien mit der Begründung vor, die Rumänen wären die direkten Nachfolger der Römer, die auch über das Gebiet des heutigen Transilvaniens (Siebenbürgens) und Pannoniens (Ungarn) herrschten, also würde Ihnen zumindest Transilvanien gebietsmäßig zustehen, da die Ungarn erst im Jahr 895 ins Karpatenbecken vorgedrungen wären. Bis dahin hätte das friedliche römisch-rumänische Volk dort Landwirtschaft und Viehzucht betrieben. Zwar gibt es außerhalb Rumäniens kaum einen Historiker, der diese Theorie der dako-römischen Kontinuität bestätigen würde, aber wen interessiert das schon? Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges schlugen im Vertrag von Trianon Transilvanien dem rumänischen Staatsgebiet zu. Da haben die Italiener, Engländer, Deutschen und Franzosen noch Glück gehabt, dass sie keine Gebiete des ehemaligen Römischen Reiches an Rumänien abgeben mussten, und so waren bis auf die Ungarn, die bis heuten mit den Folgen dieses Traumas leben müssen, alle zufrieden...

Kapitel 8: Die Alternativen

Zu der Gruppe der Alternativen gehören alle, die sich vom herrschenden Mainstream in der Gesellschaft bewusst absetzen, alternative Lebensmodelle entwerfen und diese zu verwirklichen versuchen. Wenn Sie sich zu den Alternativen zählen, dann haben Sie immer einen Imagevorsprung gegenüber Ihren angepassten Zeitgenossen. Man unterstellt Ihnen Phantasie, Kreativität, Mut zum Gegen-den-Strom-Schwimmen und nicht zuletzt Charakterstärke, um Ihre Lebensentwürfe auch umzusetzen. Es ist fast schon nebensächlich, worin Sie vom Mainstream abweichen; mögen die von Ihnen gestellten Weichen den anderen noch so kurzsichtig, unvernünftig, gar dümmlich erscheinen, Sie können stets mit dem Selbstbewusstsein der Avantgarde mit sich zufrieden sein. Die alternativen Lebensmodelle haben sich im Laufe der Zeit verändert, und ihre Aufzählung würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Auffallend oft führen verschlungene Pfade der theoretischen Untermauerung eines Lebensmodells zum Aufruf an die jeweiligen Anhänger, eine neue Lebensform zu wählen, die die kleinbürgerlichen Fesseln bei der Auslebung menschlicher Bedürfnisse sprengen und nicht zuletzt eine freie Entfaltung des Liebeslebens institutionalisieren möge. So hat die Siedlungsgemeinschaft auf dem Berg Monte Verità in Ascona am Lago Maggiore am Anfang des XX. Jahrhunderts ziemlich bald die Parole ausgegeben: Nun ziehen wir uns alle aus! Freies Denken, freie Liebe und Nudismus waren Bestandteile der Lebensauffassung der Mitglieder, und dies übte eine Faszination auf die meisten zeitgenössischen Künstler und Intellektuelle in den europäischen Ländern aus, so z.B. auf Hermann Hesse, Erich Mühsam, Alexej von Jawlensky oder Hans Arp, die zeitweise auf dem Monte Verità lebten. Eine geistig-seelische Erneuerung kann natürlich selten ohne Selbstkasteiung durch reglementierte Essgewohnheiten auskommen. So waren Kaffee, Alkohol, Tabak und Fleisch streng verboten, ebenso Milch, Käse und Honig. Dadurch sollten die Mitglieder von ihrem Zivilisationsleiden befreit werden. Aber wie so oft bei den Alternativen war auch hier der Geist willig, der Körper jedoch schwach. So notierte das Gründungsmitglied und oberste Wächterin der Grundprinzipien Ida Hofmann 1919 verärgert in ihrem Tagebuch: „Da waren auch alle jene, die sich an den warmen dunklen Abenden zu dem umliegenden Dorf schlichen, um verbotene Dinge wie gewürzte Salami und gute Tessiner Weine zu genießen“. Auch Erich Mühsam gehörte zu den Sündern und schrieb in seinen Erinnerungen: „Da ging ich ins Dorf hinunter, setzte mich in eine solide Osteria, ließ mir ein Beefsteak geben, trank einen halben Liter Wein dazu und rauchte danach eine große, dicke Zigarre. Nie hat mir eine Mahlzeit so geschmeckt, nie hat mich eine so gekräftigt und dem Leben gewonnen." Immer wieder wurden auf dem Gebiet der Kolonie Reste von fettem Schafskäse gefunden, jedoch meldeten sich die Täter auf den regelmäßigen Versammlungen trotz mehrfacher Aufforderung, sich zu bekennen, nie...
Ein weiterer Grund, alternative Lebensmodelle auszuprobieren, liegt oft bei Männern vor, deren langweilige Ausstrahlung, überschaubarer Charme und eklatante Humorlosigkeit durch ihre alternative Mission in den Augen der Frauen nicht nur in den Hintergrund treten, sondern gleich wie weggeblasen erscheinen. Oft sind es Frauen, auf die das Alternativsein und die Esoterik wie Baldrian auf Katzen wirken (siehe auch das Kapitel „Die Esoteriker“). Diese Frauen sind dann auch bereit, den letzten Rest Vernunft aus ihren Köpfen zu verjagen. Somit ist für solche Männer der Zugriff auf Frauen, die sie zuvor nicht mal wahrgenommen hätten, frei, und so wundert es nicht, dass in alternativen Bewegungen viele unbewegliche, geistlose und starre männliche Instanzen die alternative Grundidee der Bewegung konterkarieren und am Ende der Entwicklung strenge Regeln, Überwachung und Bestrafung der Mitglieder statt der erhofften großen Freiheit stehen...

Kapitel 10: Die Intellektuellen

Die schwierigste Frage bei den Intellektuellen ist, wer überhaupt zu ihnen zählt. Wenn Sie vor einer größeren Menschengruppe aus einem städtischen Milieu stehen und die Frage an die Menge richten, wer sich zu den Intellektuellen zählt, dann wird Ihnen ein orkanartiges „ICH!!!“ entgegenschallen...
Die ersten Fehler wurden mit dem Aufkommen des Humanismus in der Renaissance gemacht, und das Bildungsbürgertum lieferte nicht den ersten und erst recht nicht den letzten Ausrutscher in seiner Geschichte, indem es durch die Verbindung von Wissen und Tugend eine optimale Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten erhoffte. Humanistische Ideale unterminierten jedoch das ehrliche Bemühen der Elterngenerationen um die Rechtfertigung der reduzierten Weltbilder. Sie lieferten andererseits die Basis der zunächst zaghaften intellektuellen Gegenwehr von Menschen, die nicht bereit waren, alles als gottgegeben oder durch eine lange Tradition legitimiert hinzunehmen. Diese gewann später an Schwung und war die Basis für ein breites Spektrum an geistigen Gegenströmungen, erfolgreiche und erfolglose revolutionäre Umstürze mit eingeschlossen. Intellektuelle waren also für die herrschende Macht immer suspekt, man musste ihnen daher eine Alternative als harmlose Spielwiese anbieten und sie für ihr Stillhalten in gesellschaftspolitischen Fragen auch entsprechend belohnen...
Inzwischen holte die in die Defensive geratene konservative Mehrheit der Gesellschaft zum Gegenschlag aus, zielte auf die nachfolgenden Generationen, und nicht wenige 68-er Revolutionäre rieben sich verwundert die Augen, als ihre Kinder - den gesellschaftlichen Normen inzwischen hervorragend angepasst - sich mehr für ganz bestimmte Markenkleider als für Gesellschaftskritik interessierten. Die um sich greifende digitale Demenz tat später ein Übriges, denn eine digital atomisierte Gesellschaft, deren Kommunikationsfähigkeit primär aus geposteten Bildern und Textbruchstücken, die auch in einer Sonderschule für schwer benachteiligte Schüler nicht durchgehen würden, besteht, kommt selten in Versuchung, die so angenehme Oberfläche zu verlassen und sich um mehr geistige Tiefe zu bemühen...
Somit stellt sich die Frage: Wo befinden sich die Intellektuellen in der Gesellschaft, wenn nicht dort, wo sie sein sollten? Auf der Suche nach ihnen beginnen wir mit der Definition des Intellektuellen bei Wikipedia, die lautet: „Als Intellektueller wird ein Mensch bezeichnet, der wissenschaftlich, künstlerisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist, dort ausgewiesene Kompetenzen erworben hat und in öffentlichen Auseinandersetzungen kritisch oder affirmativ Position bezieht. Dabei ist er nicht notwendig an einen bestimmten politischen, ideologischen oder moralischen Standort gebunden.“ Leider befriedigt uns diese Definition keinesfalls, denn man trifft zahlreiche wissenschaftlich, künstlerisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätige Menschen, die kaum in Verdacht geraten, als Intellektuelle enttarnt zu werden. Und man trifft zahlreiche Menschen jenseits dieser Tätigkeitsbereiche, die als Taxifahrer, Garderobieren, Barkeeper, Prostituierte oder Kellner arbeiten und über ein hohes Maß an intellektuellen Fähigkeiten und Reflexionsvermögen verfügen, ohne sich selbst als Intellektuelle zu betrachten...
Intellektuellen unterstellt man automatisch eine höher angesetzte Mindestausstattung an Intelligenz, meistens völlig zu Unrecht. Bekannt sind Abiturienten und Abiturientinnen, die bis zu ihrer Promotion alles mit summa cum laude durchliefen, mit einem exzellenten Gedächtnis alle eingescannten Passagen ihres Fachgebietes in Sekundenschnelle abrufen konnten, jedoch unfähig waren, das erworbene Wissen zu hinterfragen, zu reflektieren und Querverbindungen herzustellen. Trotzdem war dies kein Hinderungsgrund, einen Lehrauftrag an Universitäten zu bekommen, und man kann nicht skeptisch genug sein, wenn man daran denkt, was die Studentinnen und Studenten von solchen Lehrkräften vermittelt bekommen...
Sollten Sie in eine Diskussion in einer größeren Runde involviert sein, bei der Sie nur schemenhaft ahnen, worum es geht, könnten Sie als eigenen Beitrag die Bemerkung „darauf hin sage ich mit den alten Lateinern: Aquila non captat muscas“ entgegnen und sich zurücklehnen, weil dem nichts mehr hinzuzufügen ist. Da der Spruch weniger bekannt ist, bestätigen in der Regel auch Gesprächspartner, die im Besitz des Großen Latinums sind, dass sie das genauso sehen. Sofern Sie sich auch noch in die Weinpoesie einarbeiten und die Worte „adstringierend“, „Barrique“ oder „madeirisiert“ mit größter Leichtigkeit abrufen und nach dem ersten Schluck Wein einen passenden Ausdruck aus folgenden Impressionsvorschlägen zitieren, dann werden Sie die ganze Runde beeindrucken: „jugendliche Frucht mit zarten Rapsaromen, in seiner Tiefe an Carbolineum erinnernd, mit ungezähmten Tanninen, sehr anhaftend am Gaumen, kräftiges Umbrarot, sumpfig-eleganter Zinkduft mit würziger Resopalnote, fordernd, aber nicht aufdringlich, ein Wein mit Stil und extravagantem Nachhall, dem es nicht an Struktur und Exzessen mangelt."

Kapitel 11: Die Extremisten

Sollten Sie bereits in jungem Alter die Neigung verspürt haben, für die Komplexität des Erlebten möglichst einfache und nachvollziehbare Erklärungen zu finden, um eine stabile virtuelle Realität gegenüber den Unwägbarkeiten des Lebens aufzubauen und aufrecht zu erhalten, dann sind Sie in diesem Kapitel bestens aufgehoben. Wie auch immer Ihre virtuelle Realität konstruiert sein mag, sie gibt Ihnen Halt und überführt möglichst alle unvorhersehbaren Ereignisse und Impressionen in ein gut strukturiertes, leicht nachvollziehbares und allgemeingültiges Theoriemodell. Wie Sie jedoch wissen, besitzt das Leben eine grundsätzlich heimtückische und unberechenbare Eigenschaft, indem es sich konsequent der eigenen virtuellen Realität entzieht. Seine zunehmende Komplexität fordert Sie permanent heraus und zwingt Sie zu immer höheren intellektuellen Leistungen, um neue Aspekte in Ihr Theoriemodell zu integrieren. Bei den begrenzten Ressourcen tritt jedoch irgendwann der Weigerungspunkt ein, ab dem Sie voll auf die Erkenntnisbremse treten müssen, um die permanente Überforderung zu beenden. Wie Sie wohl inzwischen entdeckt haben, ist es weitaus weniger anstrengend, die Wirklichkeit Ihrer virtuellen Realität anzupassen...

Religiöse Extremisten

Religiöse Extremisten benötigen die geringste intellektuelle Anstrengung auf ihrem Weg zur terroristischen Qualifikation. Die Anleitung dazu wird frei Haus geliefert, denn alle religiösen Schriften liefern auch eine klare Einteilung der Welt in Gut und Böse, in Freund und Feind, in Gebote und Verbote. Der angehende Extremist muss lediglich den Feind aus seinen religiösen Schriften extrahieren, diesen dann im Fokus behalten und sein Leben dessen Bekämpfung widmen. Selbstverständlich darf beim Berufsbild der religiösen Extremisten die positive Seite der Beschäftigungspolitik für junge Männer in Nord- und Zentralafrika, im Nahen Osten sowie in anderen asiatischen Ländern nicht verschwiegen werden. Ihnen steht statt Arbeitslosigkeit oder eines tristen Lebens als verarmter Bauer und Hilfsarbeiter ein solider Arbeitsplatz als Gotteskrieger zur Verfügung. Ob Hisbollah-Kämpfer im Libanon, Fedajin in Palästina, Muslim-Bruder in Ägypten, IS-Kämpfer in arabischen Ländern, Taliban-Kämpfer in Afghanistan oder Boko Haram-Milizionär in Nigeria – allen steht eine gesicherte Ausbildung und eine langfristige finanzielle Absicherung durch die Öleinnahmen der eroberten Raffinerien sowie reicher arabischer Staaten oder durch Einnahmen aus dem Drogenhandel zu. Ein weiteres Plus dieses Berufsbildes ist die jederzeit verfügbare Befriedigung materieller und körperlicher Bedürfnisse der Angestellten durch verschiedene Entführungen und Raubüberfälle, was zu einem abwechslungsreichen und erfüllten, wenn auch risikoreichen Berufsleben beiträgt. Den Spruch „no risk, no fun“ müssen wir Ihnen an dieser Stelle sicher nicht erläutern...

Rechtsextremisten

Eine weitere Extremistengruppe mit einer geringen Anzahl von Grautönen in ihrem Weltbild sind die Rechtsextremisten, die je nach soziokulturellem Hintergrund ihres jeweiligen Landes unterschiedliche Prägungen erfahren. Allen gemeinsam ist jedoch die Ablehnung zivilisatorischer Errungenschaften wie Humanität, individuelle Freiheit in multikulturellen Gesellschaften sowie auf Toleranz basierende Lebensformen. Dafür haben sie einen recht kurzen Weg zu ihren niederen Instinkten, und diese kommen ohne ein Feindbild nicht aus. Im Unterschied zu religiösen Extremisten wird das Feindbild nicht durch jahrhundertealte und liebevoll gepflegte Zuordnungen bestimmt - Schiiten, Sunniten, Christen, Juden, etc. -, sondern je nach aktuellem Bedarf ihres Umfeldes und ihrer geistigen Führung. Sie brauchen feste hierarchische Systeme mit einer Führungsstruktur, die ihnen den für sie richtigen Platz zuweist, aber auch die Möglichkeiten für einen Aufstieg in der Hierarchie offen lässt...
Aber welch unruhige Zeiten! Das friedliche Nebeneinander von Rassismus und Antisemitismus geriet bei Ihnen in eine Krise, als ab 2015 muslimische Migranten in großer Anzahl in Deutschland ankamen. Am liebsten hätten Sie diese an der Landesgrenze mit einem Maschinengewehr empfangen, jedoch mussten Sie feststellen, dass unter ihnen nicht wenige aus antisemitisch sozialisierten Milieus stammen – eine Neujustierung Ihrer Feinde war erforderlich. Sie mussten zwischen den guten Muslimen mit dem verbindenden Hass auf Israel und den restlichen unterscheiden, die Sie nach wie vor aus dem Land jagen wollten. Wie Sie also am eigenen Leib erleben, können Sie sich nicht zurücklehnen und sich wie die religiösen Extremistenkollegen das Nachdenken ersparen, die sich über mehrere Generationen hinweg über dasselbe unveränderte Feindbild erfreuen können...
In der gesamten EU wächst zwar die Attraktivität des rechten Gedankenguts ständig, aber diese Entwicklung ist für die meisten Ihrer Gesinnungsgenossen immer noch zu langsam. Aber es gibt auch erfreuliche Aspekte, die Sie optimistisch stimmen können: Die akademisch gebildete Mittelschicht öffnet sich zunehmend rechten Ideen gegenüber. Die in ihrem Studium angeeignete Kompetenz wie strukturiertes Denken, partiell gesteigerte rhetorische und analytische Fähigkeit wird – sofern vorhanden - der intellektuellen Festigung von rassistischen, völkischen und fremdenfeindlichen Theorien untergeordnet und beflügelt enorm das rechte Spektrum der Gesellschaft. Hier ein kurzer Rückblick: Während die Öffentlichkeit in der Post-68er-Ära dieses Spektrum auf die ewig gestrigen studentischen Burschenschaften in Deutschland und Österreich reduzierte und mit deren baldigem Verschwinden rechnete, wunderte man sich in den letzten Jahren über die massive Zunahme rechtsextremistischer Ideologien und eine wachsende Präsenz von Akademikern, die oft auch bei öffentlichen Veranstaltungen ohne Schamröte im Gesicht rechtsextreme Ansichten offen oder verklausuliert verteidigten. Manch einer schaffte es mit dieser Gesinnung bis in höchste politische Ämter und wurde zum demokratisch gewählten Vizekanzler, frenetisch gefeiert von seinen Anhängern, solange er nicht unvorsichtig wurde und vor laufender Kamera z.B. den Ausverkauf der demokratischen Presse einer vermeintlichen russischen Oligarchin anbot. Nicht zuletzt verlieh das Werk des deutschen Sozialdemokraten (!) Thilo Sarrazin mit seiner Schrift „Deutschland schafft sich ab“ all diesen rechtsextremen Ideologen eine Frischzellenkur. Es ist davon auszugehen, dass der Hass auf andere Gruppen von Menschen die Basis Ihrer Persönlichkeit ist; er ist strukturell über Jahre und Jahrzehnte gewachsen und kann durch keine Ratschläge oder Apelle erschüttert werden. Angesichts dieser Persönlichkeitsstruktur ist es kaum möglich, Ihnen auch nur einen theoretischen Weg zum Glücklichsein aufzuzeigen. Daher empfehlen wir Ihnen, häufiger um das Hinterteil von Pferden zu spazieren. Vielleicht haben Sie Glück, und das eine oder andere Tier keilt so heftig aus, dass Sie als Getroffener Ihre Lebensplanung und Ihre Grundausrichtung danach völlig neu überdenken. Es ist anderen Personen bereits ähnlich ergangen, sie bekamen Visionen, nahmen Kontakt zu höheren Wesen auf und gründeten Sekten, die sie reich und zufrieden machten. Alternativ gehen Sie häufiger am Wochenende in Stadteilen mit heruntergekommenen Häusern spazieren. Wenn Sie Glück haben, fällt Ihnen ein Balkon samt der darauf frühstückenden Familie auf den Kopf, und sofern Sie dies überlebt haben, könnte eine ähnliche Entwicklung wie bei der einseitigen Kontaktaufnahme durch ein Pferd losgetreten werden. Wenn Sie diese Gelegenheiten verpassen, dann werden Sie entweder vom Hass zerfressen, wenn Sie sich doch nicht zu einem Attentat entschließen, oder wenn doch, dann gleich erschossen, alternativ sitzen Sie ein Leben lang im Gefängnis - allesamt keine verlockenden Alternativen für Sie.

Linksextremisten

Diese dritte Gruppe der Extremisten hat sämtliche Graustufen für ihr Objektiv zur Verfügung, kann ein extrem scharfes Bild der Wirklichkeit erstellen; hier fehlen lediglich die Farben. Dank des hohen Differenzierungsvermögens lassen sich alle Nuancen hervorheben. Nicht selten sind die Mitglieder dieser dritten Gruppe mit analytischen Fähigkeiten sowie Abstraktions- und Kombinationsvermögen überdurchschnittlich ausgestattet. Zu dieser Gruppe gehören in der Regel Linksintellektuelle, die sich radikalisiert und den Kampf gegen den Staat angetreten haben, wie z.B. früher die Roten Brigaden in Italien oder die Rote Armee Fraktion (RAF) in Deutschland...
Auch erfolgreichere Protagonisten im Kampf gegen die imperialistische Unterdrückung der Völker wie Che Guevara ließen sich von ihren Graustufen-Bildern leiten und führten ihren kompromisslosen Kampf gegen die Unterdrückung ein Leben lang konsequent fort. Als kubanischer Revolutionsführer, später Industrieminister der kubanischen Regierung unter Fidel Castro, war Che angeblich für die Exekution von mehreren Hundert oppositionellen Kubanern ohne jegliche Gerichtsentscheidung verantwortlich. Gemessen daran war seine bedingungslose Begeisterung für größere Massenmörder wie Stalin und Mao folgerichtig, und nach einem Besuch in Nordkorea empfahl er Fidel Castro das dortige Model des Kommunismus auch für Kuba. Immerhin war er konsequent, blieb nicht auf seinem bequemen Ministerposten sitzen und setzte den Befreiungskampf der Völker in Bolivien fort, wo er am 9. Oktober 1967 ebenso konsequent erschossen wurde. Wenn Sie also die Einbahnstraße, auf der Sie sich befinden, verlassen wollen, dann bringen Sie Farbe in Ihr Leben. Ihr Graustufenbild kann Ihnen durch hinzugewonnene Farben ganz andere Aspekte des Lebens näher bringen und möglicherweise einen Perspektivwechsel bewirken. Vermutlich sind Sie viel zu intelligent, um auf einen Pferdetritt oder auf andere mechanische Einwirkungen auf Ihren Körper zu setzen, daher folgende Anregungen: Versuchen Sie einen größeren Abstand zu Ihren revolutionär beseelten Kampfgenossen zu finden und auf andere Menschen zuzugehen; vielleicht suchen Sie Kontakte zu Flüchtlingen, die Ihnen eine andere Lebensperspektive vermitteln können, schauen sich Filme jenseits des Mainstreams wie z.B. “World Apart“ des griechischen Regisseurs Christopher Papakaliatis an, erweitern Ihr Spektrum an Büchern im literarischen Bereich, suchen Sie direkte Gespräche mit Menschen, die etwas zu sagen haben, deren Meinung Sie jedoch nicht auf Anhieb teilen. Vielleicht entkommen Sie Ihrem revolutionären Korsett und entdecken Facetten des Lebens, die wirklich Farbe in Ihr Weltbild bringen können. Wenn dies Ihnen gelingt, so ist Ihr Weg zum Flow-Zustand freigeräumt, und Sie haben die Möglichkeit, diesen Weg auch zu gehen...

Kapitel 12: Die Gläubigen

Seit die Menschheit die gelände- und baumgängige Fortbewegungsart von vier auf zwei Beine umgestellt hat, fing sie an, über alles Mögliche nachzudenken, vor allem über sich selbst. Vorbei war es mit dem paradiesischen Zustand, glücklich in den Tag hineinzuleben, nahrhafte Pflanzen zu suchen, zu jagen, zu spielen und sich gegenseitig zu entlausen. Seitdem quält sich der Mensch mit den klassischen grundsätzlichen Fragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? und: Wohin gehen wir?, ohne je eine vernünftige Antwort darauf gefunden zu haben. Das Bedürfnis der Menschen aber war enorm, über diese Fragen hinaus all die unerklärlichen Phänomene wie die Sonne, den Mond, den Sternenhimmel, den Blitzeinschlag, die Gezeiten usw. zu begreifen und Antworten darauf zu bekommen, und seien es nur die falschen. Wo aber eine so starke Nachfrage existiert, da bleibt das Angebot nicht aus. Das führte direkt oder auf Umwegen zur Entstehung von Religionen. Zu jeder Zeit der Menschheitsgeschichte übernahmen schnell denkende und schlaue Menschen die Deutungshoheit in ihren sozialen Gruppen und lieferten Antworten, die ihre Mitmenschen beruhigten und ihnen das Gefühl vermittelten, dass ein höheres Wesen sie in seine Obhut nimmt, über sie wacht und sie beschützt, sofern sie sich mit seinen Geboten konform verhalten. Durch die natürliche Auslese unter den um die Deutungshoheit miteinander konkurrierenden Interpreten sind viele in der Versenkung verschwunden, weil sie – wie in dem bereits erwähnten Dokumentarfilm „Das Leben des Brian“ von den Monty Pythons trefflich geschildert – kein Gehör bei ihren Mitmenschen fanden. Die wenigen jedoch, die sich durchsetzten, wurden Propheten oder Märtyrer und somit Identifikationsfiguren einer neu gegründeten Religion. Hierbei ist zu beobachten, dass je mehr die Prediger an die Vernunft ihrer Mitmenschen appellierten, umso geringer ihre Erfolgsaussichten waren. Die überwiegende Mehrheit der Menschen dürstete zu allen Zeiten nach irrationalen Erklärungen und völlig unwahrscheinlichen Ereignissen, die als Wunder ihren jeweiligen Glauben festigten und von vornherein nicht kritisch zu hinterfragen waren...
In einer gut funktionierenden religiösen Gemeinschaft entsteht für alle Beteiligten eine Win-win-Situation: Der Gläubige wird, ohne sich anzustrengen, in eine stabile Gemeinschaft hineingeboren (oder wendet sich später einer noch attraktiveren zu), erfährt den wärmenden Schutz und die Sicherheit inmitten seiner Glaubensschwestern und Glaubensbrüder, absolviert die gemeinsamen Rituale und hat eine Bleibeperspektive fürs nächste Leben unter den Guten, wenn er sein Leben lang brav die jeweiligen Gebote der göttlichen Instanz befolgt. Der allergrößte Gewinn für den Gläubigen besteht aber in der Abgabe der Verantwortung für sein Leben in Gottes Hand, denn nur dieser bestimmt, was auf dieser Erde geschehen soll, und seinen Entscheidungen muss sich der Mensch bedingungslos unterordnen. Was also auch immer geschieht – Kriege, Hungersnöte, Mord und Totschlag –, es hatte so kommen müssen, und der Gläubige hat das hinzunehmen, denn die Leidtragenden werden es wohl verdient haben. Dafür hadert er nicht mit dem Schicksal und hofft bis zuletzt, dass sein Gott irgendwann ein Einsehen hat. Er erspart sich dadurch gefährliche Psychotherapien, die auf eine Lockerung seiner Erkenntnisbremse zielen würden. Die Priesterschaft wiederum lebt von ihrer Interpretationskunst in der Regel ganz gut, ohne die eigene Existenz am Fließband oder bei der Müllabfuhr sichern zu müssen. Bei allen Beteiligten werden die Ängste somit minimiert und durch ständige Wiederholung der Glaubenssätze und die Bekräftigung ihres Glaubens in Schach gehalten. Beschwörende Wünsche z.B. bei christlichen Gottesdiensten oder bei zahlreichen Treffen der Gemeindeglieder wie „in Gottes Hand fühle ich mich sicher“, „Gott trägt mich in seiner Hand“ oder „aus Gottes Hand erhalte ich täglich Kraft, Mut und Zuversicht“ könnten bei Außenstehenden den Eindruck erwecken, dass die Gläubigen selber nicht so fest an die Aussagekraft dieser frommen Wünsche glauben, weswegen sie sich täglich durch ständige Wiederholungen neu vergewissern müssten. Interessanterweise spielte der religiöse Aspekt in der Antike noch keine so dominierende Rolle; sogar die Römer haben einen eleganten Schwenk zum Christentum geschafft, nachdem die Christenverfolgung nicht zum gewünschten Ergebnis führte. Mit dem Aufkommen des Islam werden den Gläubigen praktische Anweisungen mit auf den Weg gegeben: „Und tötet sie, wo immer ihr auf sie trefft, und vertreibt sie, wo sie euch vertrieben haben, denn Verfolgung ist schlimmer als Töten!“ oder „Und kämpft gegen sie, bis es keine Verfolgung mehr gibt und die Religion (allein) Allahs ist.“ (Sure 2: al-Baqara). Das innerhalb kurzer Zeit entstandene arabische Weltreich war der beste Beweis für die Gelehrigkeit der Koranschüler. Da ließen sich die Christen nicht lumpen und revanchierten sich mit mehreren Kreuzzügen innerhalb von 150 Jahren, um nur die wichtigeren Etappen zu erwähnen. Im Zeichen des Kreuzes wurde später fast die ganze Urbevölkerung Südamerikas ausgerottet, und auch der 30-jährige Religionskrieg verwüstete Europa in einem bis dahin nie gekannten Ausmaß. Aus diesem Grund achten Sie auf die Entwicklung innerhalb Ihrer religiösen Gruppe. Sollten sich die Anzeichen dafür verdichten, Ihre irdische Existenz in absehbarer Zeit durch die Gruppenzwänge beschleunigt beenden zu müssen, versuchen Sie dieser Entwicklung vorzubeugen, indem Sie Ihre Glaubensgenossen im religiösen Eifer übertreffen, manchen unterstellen, dass sie noch nicht fest genug im Glauben stehen, und von diesen fordern, in einer gefährlichen Mission ihre Treue zu Gott unter Beweis zu stellen. Wenn Sie das geschickt einfädeln, dann sind Sie derjenige, der anderen den Weg ins Paradies ebnet, und Sie können noch lange glücklich und zufrieden ein gottgefälliges Leben führen...

Kapitel 13: Die Geistlichen

In der Regel setzt die Existenz der Geistlichen auch die Existenz von mindestens einem Gläubigen voraus, der sehnsüchtig auf die weisen Worte seines geistig-spirituellen Betreuers wartet. In Ausnahmefällen übernimmt der Geistliche auch diese Funktion und ist in Personalunion sowohl Geistlicher wie auch Gläubiger. Solche Geistliche wurden früher in Höhlen oder ausgehöhlten Stämmen von großen Bäumen untergebracht und sind unter der Berufsbezeichnung Eremit ins allgemeine Bewusstsein eingegangen. Wenn sie jedoch früher oder später von ihren Mitmenschen entdeckt wurden, dann war es vorbei mit der selbstgewählten Einsamkeit, denn sie wurden ständig von Gläubigen belästigt, die von ihnen Heilung und Segen forderten und auch mal rabiat werden konnten, wenn sie dies nicht in ausreichendem Maße bekamen...
Abgesehen vom Spezialfall der Eremiten kann der Geistliche auch heutzutage mit einer größeren Anzahl von Gläubigen rechnen, wobei seine Existenzsicherung oft von deren Spendenbereitschaft abhängt. Eine der wenigen Ausnahmen stellen die christlichen Kirchen in Deutschland dar, die nach der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch den deutschen Staat jährlich einen warmen Geldregen erfahren. So hat allein die katholische Kirche in Deutschland im Jahr 2012 durch die Kirchensteuer 5,2 Milliarden Euro bekommen, hinzu kommen weitere durch alle Steuerzahler finanzierte Einnahmen. Der Kirchenkritiker Carsten Frerk hat 2010 mit seinem "Violettbuch Kirchenfinanzen" Aufsehen erregt. In der Publikation berechnet Frerk, dass der Staat über direkte und indirekte Leistungen die katholische und evangelische Kirche mit jährlich knapp 20 Milliarden Euro unterstützt. Die etwa 45 Milliarden Euro für Caritas und Diakonie sind darin noch gar nicht enthalten. Bei diesem Geldüberfluss können Geistliche in Deutschland ohne Existenzsorgen gelassen ihre Karriere planen, denn unabhängig von der Qualität ihrer Predigten bekommen sie ihr üppiges Gehalt auch dann, wenn nur eine Kirchenmaus ihren Ausführungen während des Gottesdienstes lauscht. In allen anderen Ländern müssen sich die Geistlichen aber anstrengen, ihre Attraktivität durch Predigten so zu steigern, dass ihre Schäfchen an ihren Lippen hängen und sie durch materielle Zuwendungen vor dem Verhungern retten. Bereits bei den evangelisch-reformierten Kirchen in der Wohlstandsgesellschaft der Schweiz werden Pfarrer demokratisch durch die Angehörigen der Kirchengemeinde gewählt und bei Bedarf auch abgesetzt. Wer nicht den richtigen Ton trifft und keinen Zugang zu den Gemeindemitgliedern findet, kann schon seine nächste Bewerbung vorbereiten...
Ob jüdische Rabbiner, christliche Theologen oder muslimische Geistliche, sie alle versuchen die komplexe Gegenwart anhand altertümlicher oder mittelalterlicher Weltbilder zu erklären und bei jeder neuen Herausforderung – sei diese technischer oder gesellschaftspolitischer Art – auf der Suche nach einer Antwort so heftig im Koran, der Bibel und der Tora hin und her zu blättern, dass die Blätter durch die Reibungswärme fast Feuer fangen. Daher sollten Sie sich als Geistlicher nie ohne einen griffbereiten Feuerlöscher drängenden Fragen der Gegenwart stellen, wie z.B., ob die Benutzung des Internets gottgefällig ist, Fernbeichte per Smartphone-App einen vom Moschee-, Synagogen- oder Kirchenbesuch entbindet, oder ob Frauenemanzipation widernatürlich und damit abzulehnen ist. Als christlicher Geistlicher der evangelischen oder katholischen Kirche in Deutschland besteht für Sie aufgrund der bereits geschilderten Absicherung durch den Staat eine überschaubare Notwendigkeit, den Leistungsgedanken zu verinnerlichen. Eine viel größere Herausforderung besteht für Sie in der regelmäßigen Vorbereitung Ihrer Predigten, wo Sie doch im Laufe der Jahre fast alle Themen schon abgegrast haben - und neue wachsen nicht so schnell nach. Hier wollen wir Abhilfe schaffen, indem wir Ihnen einige Anregungen zur Strukturierung Ihrer Gedanken geben: Beginnen Sie immer mit einer Episode aus Ihrem Alltag, die das geschickte Variieren folgender Textbausteine impliziert: „Neulich … bin ich spazierengegangen, / habe ich 2 Pfund Leberkäs gekauft / trat ich in der Straßenbahn einer alten Oma auf den Fuß / ließ ich meine Gedanken in der Badewanne schweifen / usw.“. Dann bauen Sie einen Spannungsbogen auf: „…bin dann ausgerutscht und in die Odelgrube gefallen, … und den Leberkäs an der U-Bahn Haltestelle an den Kopf eines Rowdys geschmissen, der eine Frau belästigte, … und bekam von der Oma einen Schlag in die Magengrube, …und plötzlich ist mir Maria erschienen“. Auf dem Spannungsgipfel angelangt schauen Sie auf die breite Ebene theologischer Gleichnisse und Metaphern aus mehreren Jahrtausenden herunter, und Sie finden zielsicher eine passende Analogie aus dem Alten oder Neuen Testament, den 21 apostolischen Briefen oder der Offenbarung des Johannes. Auch wenn Ihnen die Brücke dazu zunächst nur schwer zu bauen erscheint, weil es sich z.B. bei der Marienerscheinung um Ihre polnische Zugehfrau Maria Koslowski handelt, die Ihnen nur mitteilen wollte, dass die Klopapierreserven zur Neige gehen, lassen Sie Ihre Phantasie spielen, und Sie werden den theologischen Bezug mit Bravour herstellen. So könnten Sie beim Erscheinen Frau Koslowskis auf die unzähligen Erscheinungsformen der treusorgenden Gottesmutter Maria verweisen, die uns im Alltag in Gestalt unterschiedlicher Personen begegnet, wo wir jedoch in der hektischen Betriebsamkeit des Alltags keine Rezeptoren mehr für ihre wohltuende und wegweisende Wirkung haben. Zitieren Sie dann aus dem reichen Schatz des schriftlichen Erbes der Kirchengeschichte und beleuchten Sie die Rolle der Mutter Gottes unter jener Prämisse, die zur Einleitung Ihrer Predigt am besten passt. Nach einer reichlichen Schilderung sämtlicher theologischen Aspekte stellen Sie vor dem furiosen Abschluss die rhetorische Frage: „Was wollte uns Paulus, Augustinus, Johannes, Thomas von Aquin, Martin Luther, Johannes Calvin usw. damit sagen?“. Sie liefern prompt die Antwort und ziehen die Konsequenz daraus: „Seht Ihr, …“. Mit einem donnernden Appell an die Gemeinde, aus dem Geschilderten die richtige Lehre zu ziehen und sich in der Zukunft viel mehr an das ins Bewusstsein gehobene christliche Gebot zu halten, beenden Sie Ihre Predigt und verabschieden sich mit einem guten Grundgefühl in den verdienten Sonntag. Überhaupt ist Humor bei Fundamentalisten in der Regel nur in Spuren zu finden, und auch sonst wird Sinnlichkeit durch verschiedene Strafmaßnahmen der religiösen Gemeinde und ihrer Geistlichen unter eine Betondecke von Verhaltensregeln und Riten gezwungen. Sogar in liberaleren christlichen Kreisen wie z.B. in der evangelisch-lutherischen Kirche veranlasst die mit herunterhängenden Mundwinkeln verkündete Aufforderung „Lasset uns fröhlich sein“ den nicht eingeweihten Beobachter zuerst dazu, nach dem Übeltäter zu suchen, der diese Menschen nicht fröhlich werden lässt, findet aber auf Anhieb niemanden...
Ob Sie also zu den liberaleren oder eher zu fundamentalistisch geprägten Geistlichen gehören – Sie sollten stets an der Feinjustierung der Scheuklappen der Mitglieder Ihrer Gemeinde arbeiten und diese so einstellen, dass nur Ihre Botschaft diese Hürde überwindet, alle anderen jedoch ausgefiltert werden. So sehen Sie einer ruhigen und entspannten Zukunft entgegen, und der Treue Ihrer Schäfchen dürften Sie für lange Zeit sicher sein.

Kapitel 14: Die Esoteriker

In jeder Phase der Menschheitsgeschichte gab es phantasiebegabte Exemplare des Homo sapiens, die sich mit den jeweils herrschenden Deutungen der Wirklichkeit nicht zufrieden gaben und auf einer spirituellen Ebene eigene Antworten auf die ewig offenen Fragen, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen, gaben. Bis zum Beginn der Aufklärung im XVIII. Jahrhundert besaßen die christlichen Kirchen in Europa sowie Nord- und Südamerika die Deutungshoheit über diese Fragen und verfolgten Abweichler wie z.B. die Katharer im XIII. Jahrhundert gnadenlos bis zu ihrer vollständigen physischen Vernichtung in ihren letzten pyrenäischen Fluchtburgen Montségur und Quéribus.
Die Aufklärung hatte grundsätzlich die Befreiung des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit zum Ziel. Kants Spruch „Sapere aude!“ - habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – wird als Wahlspruch der Aufklärung interpretiert. Folgerichtig mündete die Aufklärung in der Wissenschaft, und hier machte sie schon mal den ersten Fehler: Die Mehrheit der Menschheit findet die Aufklärung mit Hilfe der Wissenschaft so spannend wie ein notorischer Raucher die wissenschaftlich untermauerte Aufklärung über die karzinogene Wirkung des Rauchens. Wissenschaft ist für die Mehrheit unverständlich, anstrengend und langweilig. Daran ändern auch die wenigen unentwegten Ausreißer wie z.B. Professoren aus Oxford nichts, die begeistert vom Wipfel eines 30 m hohen Baumes im Dschungel dem BBC-Reporter über einen interessanten Kolibri oder über eine unbekannte Blattlausart in Indonesien berichten. Darüber hinaus kann der eigene Verstand erst dann eingesetzt werden, wenn man einen hat; die Empirik berechtigt uns hier nicht zu schönsten Hoffnungen. Schließlich ist die Unmündigkeit ein gemütlicher Zustand, den zu verlassen einer großen Kraftanstrengung bedarf, ohne vorher die daraus resultierenden Vorteile zu kennen. Für das Individuum ist es viel attraktiver, auf das breite Angebot der menschlichen Irrationalität zuzugreifen oder eigene Beiträge beizusteuern, da es nirgendwo eine Instanz gibt, die dies überprüfen oder gar untersagen würde. Das Geheimwissen hat die Menschen immer schon fasziniert. So hatten Verschwörungstheorien zu allen Zeiten Hochkonjunktur und regten die Phantasie der Adressaten mehr als nüchterne Fakten an, mochten sie noch so abwegig erscheinen. Durch das Aufkommen des Internets bekamen diese Theorien einen zusätzlichen Auftrieb, und nicht zuletzt ist es ein auch für mediokre Geister zugängliches und behandelbares Medium. So liefern sich bei den Verschwörungstheoretikern im Ranking der um die Weltherrschaft ringenden Kräfte der amerikanische Geheimdienst CIA, der russische Geheimdienst FSB (als Nachfolger des KGB) und die Mitglieder der kurzlebigen Geheimgesellschaft der Illuminaten ein Kopf-an-Kopf Rennen. Letztere sind besonders verdächtig, da sie nach ihrem Verbot im Jahr 1785 im Kurfürstentum Bayern völlig von der Bildfläche verschwanden und somit noch geheimer als ihre Mitbewerber sind. Schlichteren Gemütern reicht bereits die Gewissheit, dass die Erde am Nord- und Südpol jeweils eine Öffnung hat und Adolf Hitler 1945 durch dieses Loch am Nordpol vor seinen Verfolgern entschwand; seitdem bereitet er im Inneren der Erde seine Wiederkehr vor. Eine weitere subversiv agierende Gruppe hat die Machenschaften der Mächtigen entlarvt, der naiven Mehrheit der Erdbewohner zu suggerieren, dass sie auf einer Kugel leben würden. In Wirklichkeit sei die Erde eine flache Scheibe, und all diese Raumfahrten und Photos vom Weltall seien geschickte optische Fälschungen, die in Geheimlaboren tagtäglich hergestellt werden, um uns alle zu verdummen. „Aber nicht mit uns!“ – lautet der Aufschrei der informierten Mitglieder dieser elitären Gruppe, die sich vehement gegen jegliche Manipulationsversuche zur Wehr setzt...
In Kurzform halten wir also fest, dass das Geheimwissen die Phantasie anregt und bezaubert, während die Aufklärung auf der ganzen Linie entzaubert. Esoterik und Verschwörungstheorien sind nicht gleichzusetzen, haben jedoch Gemeinsamkeiten im Bezug auf ein Geheimwissen, das sich im Besitz von nur wenigen Außerwählten befindet. Die Esoterik trägt dem tiefen menschlichen Bedürfnis Rechnung, statt in einer entzauberten, rationalen und aufgeklärten Welt ohne Geheimnisse zu leben, in eine geheimnisvolle, mystische Welt abzuwandern. Die Hohepriester dieser neuen Welt – wie auch immer sie sich bezeichnen mögen - bieten unzählige Theorien über geheime Kräfte sowie Steuerungsinstanzen außerhalb der Sinneswahrnehmung des Menschen an, die alle sein Leben und sein Schicksal bestimmen. Aus diesem Angebot wählen die Esoteriker die ihnen genehmen Angebotsinhalte mit den daraus resultierenden Verhaltensregeln aus, denen sie sich willig unterwerfen...
Ein weiteres esoterisches Highlight ist die Astrologie, die eine Orientierung den Orientierungslosen und eine feste Struktur im Alltag durch kosmische Referenzen den Chaoten schenkt. Die augenblickliche Sternenkonstellation bei der Geburt bestimmt laut Astrologie weitgehend den Charakter und somit das Schicksal des Menschen. Je nachdem, welches der 12 Tierkreiszeichen einem zugeteilt wird, ist der Mensch charakterlich determiniert, und entsprechend sollte er sein künftiges Leben bewusst davon abhängig machen. Viele astrologieaffine Menschen prüfen morgens, was in ihrem Tageshoroskop steht, und verlassen unter Umständen an diesem Tag ihr Haus gar nicht oder tätigen keine Geschäfte. Nachdem sich jedoch viele Menschen weigern, einen Charakter zu entwickeln, der ihnen laut ihrem Tierkreiszeichen zusteht, wurde von den Astrologiekoryphäen als Absicherung der Aszendent erfunden, der wiederum alle Charaktervariationen erlaubt. Zur Bestimmung des Aszendenten ist der Zeitpunkt der Geburt auf die Minute genau erforderlich, erst dann kann dieser ermittelt werden. Widerspricht der Charakter trotz der erfolgreich ermittelten Kombination vom Tierkreiszeichen und Aszendenten immer noch dem Prognostizierten, dann hatten die Hebamme oder der Arzt eine ungenaue Uhr oder wurde diese nicht rechtzeitig von der Sommer- auf die Winterzeit umgestellt...
Sie könnten aber auch morgens aus dem Bett springen und direkt zum nächsten Baum laufen, diesen umarmen und ihm Ihren Traum erzählen. Bäume haben Ihrem Partner gegenüber den Vorteil, dass sie Ihnen sehr nachdenklich zuhören und Ihnen nie widersprechen. Manch einer avancierte im Dialog mit seinem Lieblingsbaum zum Philosophen. Leider wurde nicht überliefert, ob es sich um eine Douglasie oder eine Eberesche handelte, daher müssen Sie selber herausfinden, welcher Baum über die wunderbar empathische Fähigkeit verfügt, Sie zu verstehen und sich in Sie hineinzufühlen...
Der Schamanismus bietet Ihnen weitreichende Entfaltungsmöglichkeiten sowohl als Empfänger schamanistischer Wohltaten wie auch als Schamane, da die Ausbildung z.B. bei der Akademie für Europäische Naturheilmethoden und Schamanismus „Der Landschamane“ in Wörschach in Österreich mit knapp 20 Modulen à 280€ (mit Heilungshütte 330€) fast schon geschenkt ist, wenn man bedenkt, welche Fähigkeiten man sich zum Heilen der Mitmenschen aneignet. Der Schamanismus besteht laut Dr. Harald Wiesendanger, Publizist, Philosoph und Psychologe, Autor von sechzehn Sachbüchern zu diesem Thema, aus vier Grundpfeilern:

• Jedes Unglück und jede Krankheit wird durch höhere Mächte herbeigeführt; es gibt keine ausschließlich natürlichen Gründe dafür
• Um ein Unglück oder eine Krankheit zu bannen, versetzt sich der Schamane in Ekstase
• Im ekstatischen Zustand ist der Schamane in der Lage, außersinnliche Erkenntnisse über die wahren Ursachen des Übels und über die Mittel für deren Beseitigung zu sammeln; dazu verlässt seine Seele oft den Körper, findet aber immer wieder zurück
• In diesem besonderen Bewusstseinszustand erfährt der Schamane, ob ein böser Dämon ins Opfer eingedrungen ist oder ein magischer Zauber einen Fremdkörper ins Opfer einschleuste, der nun Beschwerden verursacht, oder das Versäumen einer religiösen Pflicht die Strafe der Götter herausgefordert hatte

Schamanen trauen sich auch eine Fernheilung zu, z.B. über eine Skype-Verbindung, da sie im Verbund mit der Geisterwelt keine irdischen Grenzen kennen, sofern die Übertragungsrate der Verbindung eine einwandfreie Kommunikation erlaubt, denn diese können nicht mal die Geister erhöhen. Angesichts der außerordentlichen Leistungen verwundert uns nicht, dass eine Behandlung durch Schamanen nicht ganz billig ist. So nimmt z.B. Meister Gregory im deutschsprachigem Raum für eine heilsame „Räucherung“ bis zu 1000 €, aber dafür mit eigens aus Kanada importierten Kräutern. Nichts demonstriert die Intoleranz der Ärztemaffia und der Pharmakonzerne deutlicher, als die Weigerung der Krankenkassen, die Kosten für eine solche Behandlung zu übernehmen, wo es doch den geräucherten Patienten anschließend subjektiv viel besser geht. Außerdem hat das Räuchern bekanntlich eine antibakterielle Wirkung und erhöht die Haltbarkeit von Schinken, Wurst und eben auch der Patienten...

Kapitel 15: Die Hoffnungslosen

Zu der Gruppe der Hoffnungslosen gehören diejenigen, die jedem Versuch, ihre Scheuklappen entweder selbst oder von außen initiiert zu manipulieren, heftigen Widerstand entgegensetzen, sofern sie die Intention erkennen. Dadurch sind sie häufig der Missgunst, Feindseligkeit und Verleumdung seitens ihrer Mitmenschen mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt. Wenn sie nicht vom Elternhaus mit der Fähigkeit ausgestattet sind, sich gegen Angriffe schützen zu können, müssen sie ein Leben lang ihre seelischen Verletzungen in Psychotherapien oder anderweitig aufarbeiten. Solche Schutzmechanismen kann ein intellektuell vorbelastetes Elternhaus mit gesellschaftlich engagierten Eltern oder ein evangelisches Pfarrhaus vermitteln, in dem das Eintreten für die Wahrheit ohne die geringsten Kompromisse bereits genetisch weitergegeben wird und der Kampfeinsatz dafür bereits in der Kindheit beginnt. Aber es gibt auch zahlreiche Beispiele von Kindern aus bescheideneren, mitunter sehr schwierigen Familienverhältnissen, die das Kämpfen ums Überleben gelernt haben, bevor sie dank ihres Wissensdurstes, ihrer Neugierde und einer Portion Glück bei ihrem Werdegang die ausgangssituationsbedingten Scheuklappen stufenweise öffneten oder gar beseitigten. Der mittlerweile verstorbene amerikanische Psychologe und Professor an der Harvard University Lawrence Kohlberg definiert in seiner kognitiven Theorie der Moralentwicklung sieben Ebenen des Moralbewusstseins und postuliert, dass die Entwicklung des Menschen von der niedrigsten zur höchsten Bewusstseinsstufe unidirektional verläuft, wenn man von Regressionen absieht. Er definiert auch eine präkonventionelle Ebene, auf der sich Kinder vom Babyalter bis zum Alter von drei bis vier Jahren befinden. Hier kann es schon mal passieren, dass ein Kind im Sandkasten einem anderen Kind den Eimer wegnimmt, woraufhin dieses ihm mit der Schaufel einen Schlag auf den Kopf verpasst und siegreich mit dem Eimer davonstürmt. Viele Mitmenschen bleiben auf dieser Moralbewusstseinsebene stecken, weil ihnen das Fortkommen in der Gesellschaft so am effektivsten erscheint, lediglich ändern sie von Fall zu Fall die eingesetzten Methoden. Und in der Tat, die meisten Gesellschaften belohnen eher ihre Bürger auf niedrigeren Bewusstseinsebenen, wobei ihnen der Weg bis zur Staatsspitze offen steht, sofern sie unterwegs nicht weich werden und dadurch ihre Konkurrenten nicht mit letzter Konsequenz bekämpfen. Auf der ersten Stufe Kohlbergs geht es um die Orientierung nach Strafe und Gehorsam, indem die von Autoritäten gesetzten Regeln ohne Hinterfragen befolgt werden, um eine Strafe zu vermeiden. Auf die Zwischenstufen gehen wir aus Platzgründen nicht ein, betrachten wir jedoch die Stufe sechs, auf der sich die meisten der Hoffnungslosen befinden. Diese Ebene wird angeblich nur noch von 5 % der Menschen erreicht und definiert die Orientierung des Menschen am universalen ethischen Prinzip der zwischenmenschlichen Achtung und dem Vernunftstandpunkt der Moral. Hier handelt es sich nicht mehr um konkrete moralische Regeln, sondern um abstrakte Prinzipien, wie z.B. den kategorischen Imperativ Kants. Nachdem die Menschen dieser Bewusstseinsstufe oft gegen ihre partikulären Interessen handeln, wenn dies im Einklang mit ihren ethischen Prinzipien ist, und mit ihren Mitmenschen sanfter und nachsichtiger als diese umgekehrt mit ihnen umgehen, werden sie von ihnen als naiv und lebensuntüchtig – bestenfalls als keine Konkurrenten in der jeweiligen Gemeinschaft – betrachtet. Somit ziehen sie im Verdrängungswettbewerb, beginnend mit der Schule bis zu ihrer Berufstätigkeit, meist den Kürzeren und müssen besondere Fähigkeiten entwickeln, um von der Gesellschaft dringend benötigte und gut dotierte Stellen wie z.B. als IT-Spezialisten, Literaten, Feuilletonchefs, Professoren, Anwälte, erfolgreiche Künstler, Dirigenten, Schauspieler oder Theaterregisseure, um nur einige zu nennen, trotzdem zu ergattern...
Wenn wir also die Situation der meisten Hoffnungslosen zusammenfassen, dann stellen wir fest, dass sie ohne Scheuklappen und ohne eine signifikant ausgeprägte Erkenntnisbremse Situationen ausgeliefert sind, in denen sie eher leiden, als dass sie den Flow-Zustand erreichen könnten, und zwar chronisch. Sie wollen die Welt kraft ihres Verstandes so begreifen, wie sie ist, und das hat in der Menschheitsgeschichte noch nie jemanden glücklich machen können...
Welche partiellen Verbesserungsmöglichkeiten ihrer Lage bestehen trotzdem für die Hoffnungslosen in Richtung des Flow-Zustandes? Wenn Sie sich der Gruppe der Hoffnungslosen zugehörig fühlen, dann sollten Sie Ihren Sensibilitätspegel situativ anpassen. Werden Sie mit der Dummheit Ihrer Mitmenschen in irgendeiner Form konfrontiert, ändern Sie Ihre Sensibilität im Rahmen des Möglichen so, dass diese Konfrontation Sie nicht verletzt oder betroffen macht und Sie vielleicht genug Kraft für einen virtuellen Schuss aus der Hüfte als Antwort darauf haben. Das ist zwar leichter gesagt als getan, jedoch können Sie diese Fähigkeit durch ausdauerndes Training ausbauen; an Gelegenheiten mangelt es nicht...
Wenn Sie sich dann im Gespräch mit empathischen und sensiblen Freunden oder auch Fremden gegenseitig bereichern, eine begeisternde Kunstausstellung besucht, einen großartigen Film jenseits des Mainstreams in einem Programmkino gesehen, ein Barockmusikkonzert in voller Länge genossen, das Rieseln des Schnees in einer tiefverschneiten Landschaft gespürt, den Duft einer bunten Blumenwiese im Frühling tief eingeatmet, den Cappuccino an der Piazza del Campo in Siena bedächtig geschlürft oder den Sonnenuntergang von der Spitze eines Vulkanberges auf Lanzarote mit Ihrer Partnerin oder mit Ihrem Partner fasziniert beobachtet haben, dann – ja dann können auch Sie Momente des Flows erleben. Was kann man mehr von diesem Leben erwarten?